Ein Sonnenuntergang im Takt der Musik
Bad Wildbad erobert sich mit einem Baumwipfelpfad, einer spektakulären Hängebrücke und einem einmaligen Opern-Festival Besucher zurück
Von BIRGIT WALTER
Keine Pumps bitte zu diesen Konzerten. Und Kleider mit Spaghettiträgern am besten unter Daunenjacken verstecken. Zu Konzerten hier im nördlichen Schwarzwald hoch über den Wipfeln von Tannen und Fichten verweisen die Veranstalter ausdrücklich auf passende Kleidung. Denn auf dem Sommerberg von Bad Wildbad, von dem es noch mal spiralförmig hinauf geht auf den neuen 726 Meter hohen Baumwipfelpfad, kühlt es abends schon mal empfindlich ab. Dafür kann man genau hier natur-musikalische Inszenierungen der Extraklasse erleben!
Musikfans sollten sich schon jetzt Termine für das nächste Jahr freihalten. Denn die Konzerte mit Chor und Orchester in dieser Umgebung sind einfach himmlisch. Selbst der Untergang der Sonne wird auf die Minute getaktet – sie sinkt mit dem Höhepunkt des Konzertes.
Warum nur verweht es hier nicht die Töne, wie man es sonst immer bei Open-Air-Konzerten erleben muss? Warum hört man selbst einzelne Chor-Stimmen klar heraus? Jochen Schönleber, Intendant des Festivals „Rossini in Wildbad“, das der Ort jedes Jahr veranstaltet, glaubt, dass es mit der dichten Bewaldung zu tun hat und dem vielen Holz auf dem Baumpfad: „Selbst Vögel reagierten auf unsere Musik – sie setzten erst in den Pausen ein.“
Bad Wildbad ist eine Stadt in schönster Tal-Lage und mit königlicher Badetradition. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts war sie so reich, dass sie 1989 – vielleicht im Überschwange – sogar dieses Rossini-Festival gründete. Rossini deshalb, weil der Komponist 1856 mit Rheuma hierher kam, so krank, dass er schon lange keine Note mehr geschrieben hatte. Nach der Kur aber komponierte er wieder.
Auch ein anderer namhafter Patient hat geholfen, das Königliche Kurtheater zu retten – Justus Frantz. Der Pianist musste hier viele Monate mit ungewissem Ausgang Station machen, nachdem er auf Konzertreise in China gestürzt war und sein Rettungswagen danach in einen Unfall geriet. Der Rücken des Pianisten schien völlig hinüber. Wild-
bad hat ihn kuriert. Aus Dankbarkeit half der Musiker, das landeseigene Theater vor dem Abriss zu bewahren. Seit 1987 glänzt es wieder als Kleinod in Pastell für 200 Zuschauer, sehr intim.
Zu dieser Zeit ahnte die 3000-Einwohner-Stadt noch nicht, dass sie bald vor einem Abgrund stehen würde, vor der Gesundheitsreform in den 90er Jahren nämlich. Man findet in Wildbad heute keinen Hotelier, keinen Gastronomen und keinen Tourismusmanager, der diesen Schlag von damals unerwähnt ließe.
Die Abschaffung der Vorsorge-Kur auf Krankenschein von einem gewissen Herrn Seehofer ließ die Übernachtungen im Badeort drastisch einbrechen, von etwa einer Million auf rund 300 000. Wildbad leerte sich trotz der gesundheitlichen Erfolge und kämpft bis heute um Kurgäste und Touristen.
Und das mit zunehmendem Erfolg. Der herrliche Baumwipfelpfad bringt 250 000 Tagesgäste nach Bad Wildbad, die in diesem Sommer eingeweihte Hängebrücke „Wildline“noch mal 100 000, das Rossini-Festival sorgt für den guten Ruf, auch international. Selbst die New York Opera News hat schon Kritiker geschickt. Jetzt geht es darum, alles miteinander zu verknüpfen, dass wieder mehr Übernachtungen dabei herauskommen. Seit Jahren schon investiert man daher konsequent in den Ausbau der Radwege, in kurzweilige Wanderwege, gastliche Berghütten und den gepflegten Kurpark sowieso. In den Blick nahm man dabei besonders Familien und geruhsame Wanderer.
Für deren bequemen Aufstieg wurde auch die kleine Sommerbergbahn mit schönem Ausblick saniert. Ein teures Unterfangen, weshalb der Bürgermeister die altersschwache Bahn bei der Auffahrt zweimal stocken ließ, als der Ministerpräsident drin saß. Danach klappte es mit dem Landes-Zuschuss.
Außerdem verschaffte sich die Stadt 2002 Anschluss nach Paris – ja, so reden sie hier. Tatsächlich durchquert die S-Bahn im Outfit einer Straßenbahn das Stadtzentrum auf dem Bürgersteig, fährt mitten durch die Cafés, romantisch an der Enz entlang bis rauf nach Pforzheim und Stuttgart. Und von da hat man eben direkt Anschluss nach Paris.
Die steigenden Besucherzahlen befördern vielleicht sogar die umwerfende historische Therme aus den roten Zahlen – größer, älter und viel mondäner als viele Spaßbäder in Deutschland. Neun Saunen hat die Therme, die Whirlpools, Schwimmbecken und alten Wasser-Séparées kann man kaum zählen. Gerade hier entfaltet das kleine württembergische Städtchen, das mitunter etwas erbsenzählerisch wirkt, eine ungeahnte Großzügigkeit. In der lichten Maurischen Halle treffen sich nach dem Bade die Nackten – gegen alle Widerstände wurde im ganzen Komplex die Freikörperkultur beibehalten – in Tücher gehüllt. Ihren Kaffee nehmen sie unter filigranen Mosaiken mit der arabischen Inschrift: Allah ist groß. Wenn hier nicht Weltläufigkeit herrscht mit Rossini als Ehrengast, wo sonst?