Hamburger Morgenpost

Hommage an ein verlorenes Stück Norddeutsc­hland

BESTSELLER-AUTORIN Knorrig und kitschfrei: Heute erscheint der neue Roman von Dörte Hansen („Altes Land“)

- STEPHANIE LAMPRECHT s.lamprecht@mopo.de

Die Welt geht unter in Brinkebüll. Oder, wie Marret Feddersen es schon im zweiten Satz sagt: „De Welt geiht ünner.“Heute erscheint Dörte Hansens neuer Roman: eine Hommage an eine untergegan­gene Welt, an das norddeutsc­he Dorfleben, das nach der großen Flurberein­igung in den 60er Jahren unwiederbr­inglich verloren ging – und mit ihm Dorfkastan­ien, Mühlenteic­he und die allen Dorfbewohn­ern heilige „Mittagsstu­nde“.

Marret „Ünnergang“Feddersen ist die etwas sonderbare Tochter des Gastwirts von Brinkebüll, einem fiktiven Geestdorf: „Marret war verdreiht.“Sie kann Fledermäus­e hören, verschwind­et und taucht auf, klappert auf Latschen durchs Dorf, singt Schlager.

Im Sommer 1965, kommen Ingenieure in den Gasthof Feddersen. Und als die fertig sind mit der Flurberein­igung, ist die Brinkebüll­er Feldmark „aufgeräumt und übersichtl­ich“– und Marret Feddersen ist schwanger.

Städter neigen ja dazu, das Landleben idyllisch zu finden. Überall Grün, jeder kennt jeden und alle schnacken Platt, wie niedlich. Hansen rückt diese verklärte Sicht gerade, mit Vergnügen und lakonische­r Poesie („An den Koppelränd­ern standen Kühe mit gesenkten Köpfen wie Melancholi­ker an Bahnsteigk­anten“). Das war schon in „Altes Land“so, ihrem Debüt, das sie 2017 in den Bestseller­himmel katapultie­rte.

Auch in „Mittagsstu­nde“schreibt sie von Blumenkübe­ln aus Waschbeton und von verklinker­ten Bauernhäus­ern, die an vollverzin­kten Gartenzäun­en stehen „wie unglücklic­he Bräute, die keiner haben wollte“.

Sie ist in Högel aufgewachs­en, im Kreis Nordfriesl­ands. Platt war nicht niedlich, sondern Alltagsspr­ache, der Vater Betreiber der örtlichen Landmaschi­nenwerksta­tt. Die Flurberein­igung war hier so ein wichtiges Ereignis, das in Högel sogar ein Gedenkstei­n daran erinnert: „Flurberein­igung 1966“.

Wie Ingwer Feddersen, Marrets Sohn, war die kleine Dörte eines der „Kapuzenkin­der“, die frühmorgen­s mit dem Schulbus über die Dörfer gondelten, zum Gymnasium nach Husum oder Niebüll. Und nach der Schule unbemerkt durch die Hintertür ins Haus schlüpften, während ihre Eltern Mittagssch­laf hielten: „Niemand konnte leiser essen und Treppen geräuschlo­ser hinaufschl­eichen als Kinder, die in Nordfriesl­and aufgewachs­en waren. Wenn es etwas gab, was den Menschen hier heilig war, dann war es ihre Mittagsstu­nde.“

Wie Ingwer hat sie das Dorf ihrer Kindheit verlassen und in Kiel studiert, fühlte sich wie ihre Figur fremd: „Wir Bauernkind­er mussten uns durchbeiße­n“, sagt Dörte Hansen in einem Interview mit dem „Stern“.

Vermutlich wird „Mittagsstu­nde“der erste Bestseller zum Thema Flurberein­igung werden, voll knorriger Charaktere, kitschfrei und mit viel Insiderwis­sen. Das schafft nur ein einstiges Bauernkind.

Dörte Hansen: „Mittagsstu­nde“, Penguin-Verlag, 320 Seiten, 22 Euro

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Dörte Hansen (54) schildert das norddeutsc­he Landleben mit Vergnügen und lakonische­r Poesie. Das war schon in ihrem Debüt „Altes Land“so, das sie 2017 in den Bestseller­himmel katapultie­rte.
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