„Die Grünen werden keine Volkspartei“
Anjes Tjarks über das Erfolgsgeheimnis seiner Partei
Für die Grünen gibt’s derzeit nur einen Weg – steil bergauf! Bei der BayernWahl holte die Partei 17,5 Prozent, auf Bundesebene ist sie nach Umfragen zweitstärkste Kraft. Die MOPO sprach mit Fraktions-Chef Anjes Tjarks über diesen beeindruckenden Vormarsch.
Herr Tjarks, sind die Grünen jetzt auf dem Weg zur Volkspartei?
Die Volkspartei als solche ist am Ende, das sieht man jetzt auch bei der CSU. Wir werden sicher auch keine neue Volkspartei werden.
Was werden die Grünen dann?
Wir sind inzwischen eher so was wie eine Partei der Vielen. Wir haben eine deutlich breitere Basis an Wählern als vor einigen Jahren.
In Bayern haben Sie ganz schön bei anderen Lagern gewildert. Rund 200 000 Menschen kamen je von CSU und SPD zu den Grünen. Wie hat Ihre Partei das geschafft?
Wir brechen schon seit einiger Zeit in das Milieu der anderen Parteien ein, ziehen viele Wählerinnen und Wähler zu uns. Unsere Botschaft wurde verstanden: Wir sind nicht mehr nur eine Umweltpartei.
In Bayern sind Sie aber mit einem konservativen Wahlprogramm zu Kernthemen wie Grünflächenfraß und Heimatliebe angetreten.
Wir haben aber auch ganz andere Themen besetzt, kämpfen für einen liberalen Rechtsstaat und eine offene Gesellschaft und haben zum Beispiel das Polizeiaufgabengesetz abgelehnt. Und wir sind deutlich pragmatischer geworden. Wir wissen, dass Wohnungsbau ein verdammt wichtiges Thema ist und setzen uns für den sozialen Wohnungsbau ein.
Wenn man sich auf diese Weise breiter aufstellt, verwässert das Parteiprofil der Partei nicht?
Am Ende geht es doch darum, dass wir Politik für die Bürgerinnen und Bürger machen, Lösungen für Probleme liefern. Das tun wir, das wird honoriert – besonders seit der Bundestagswahl. Es ist ein ziemlicher Spagat, den Ihre Partei derzeit betreibt. In Berlin regieren Sie in einem Rot-RotGrünen Bündnis, in SchleswigHolstein mit Jamaika, in Bayern gäbe es die Option mit der CSU. Verliert man sich da nicht?
Nein. Es zählt nicht mehr das Links-Rechts- oder das Marktwirtschaft-Sozialismus-Schema. Es zählt die Einstellung, ob du für eine proeuropäisch-liberale und offene Demokratie kämpfst oder ob du für eine nationalistisch-illiberale Demokratie stehst. Wir sind da klar sortiert.
Was bedeutet der Wahl-Erfolg für die Grünen jetzt eigentlich?
Bundespolitisch werden wir einen kräftigen Schwung bekommen. Darüber freuen wir uns sehr, und das wirkt sich auch auf andere Landtagswahlen aus. Aber wie Winfried Kretschmann schon sagt: Wir müssen auf dem Teppich bleiben, auch wenn der Teppich fliegt.
Das klingt nach Demut.
Ja, wir sollten jetzt vor allem innehalten und nachdenken, wie man mit der neuen Verantwortung umgeht. Auf Bundesebene haben wir ordentlich zugelegt. Das bedeutet, dass wir jetzt einige Themen anpacken müssen.
Welche zum Beispiel?
Es geht um die Frage, wie wir die ökologische Krise überwinden, wie wir den Menschen jenseits von Hartz IV eine Perspektive geben, wie wir Europa zusammenhalten und wie wir Deutschland wieder vereinigen wollen. Die Mauer ist nun schon länger weg, als sie existiert hat. Trotzdem driften Ost und West wieder mehr auseinander.
Nicht nur durch Inhalte, auch durch Personen gewinnen die Grünen Wähler für sich. Wie kommt das?
Wir äußern uns inhaltlich zu den Fragen der Gesellschaft und distanzieren uns vom populistischen Stammtischgerede. Viele Parteien tun das nicht. Da wird gepöbelt, da verroht die Sprache zunehmend. Die CSU hat im Wahlkampf zum Beispiel von „Asyltourismus“gesprochen. Solche Wortbilder sind unmenschlich, sie erzeugen eine äußerst problematische Stimmung, lösen aber keine Probleme. Das merken die Bürger – und darauf haben sie keine Lust mehr.
Was bedeutet die Bayern-Wahl für Hamburgs Grüne?
Die Situation hier ist eine andere. Wir sind bereits in Regierungsverantwortung, können mitgestalten. Aber wir merken, dass wir durch die aktuelle Art unserer Politik Wähler mobilisieren, die früher nicht zu unserer Klientel gehört haben. Und zwar die am Rand, in Wandsbek, Bergedorf und Harburg.
Wir müssen auf dem Teppich bleiben, auch wenn der fliegt. Anjes Tjarks
DAS INTERVIEW FÜHRTE MIKE SCHLINK