Hamburger Morgenpost

Lasst die Seenotrett­er aufs Wasser!

Pastor Markus Hentschel über die kritische Lage auf dem Mittelmeer

- KM

Sie kämpfen gegen das Sterben im Mittelmeer – und werden von EU-Regierunge­n an die Kette gelegt. Nachdem Malta seit Monaten Rettungssc­hiffen das Auslaufen wegen der angeblich fragwürdig­en Registrier­ung in den Niederland­en verweigert hatte, durfte die „Sea-Watch 3“den Hafen von Valletta endlich verlassen. Doch die Kriminalis­ierung privater Retter geht weiter. Die MOPO sprach mit dem Altonaer Pastor Dr. Markus Hentschel (57) über die kritische Lage im Mittelmeer-Raum.

MOPO: Sie waren für ein paar Tage auf Malta, um dort die Schif screws von „Sea-Eye“, „Sea-Watch“und „Lifeline“zu tref en. Wie ist die Lage vor Ort? Markus Hentschel: Allen Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs) wurde mit unterschie­dlichen Begründung­en die Lizenz entzogen. Mal geht es darum, unter welcher Flagge man fährt, mal darum, ob ein Schiff als Sportboot registrier­t ist, mal um Anti-Mafia-Gesetze in Italien. Die deutschen Retter setzen jetzt Hoffnung in die Bundesregi­erung.

Was macht das mit den Crewmitgli­edern, mit der Stimmung? Auf den Schiffen ist je eine Rumpfcrew, die Wartungsar­beiten macht. Die Leute sind frustriert. Am gedrücktes­ten war die Stimmung bei der „Sea-Watch“, deren Lage am wenigsten klar war. Manche gingen pragmatisc­h damit um, blendeten eher aus.

Als mennonitis­cher Pastor: Was spricht aus christlich­er Perspektiv­e für private Seenotrett­ung?

Es geht um Menschenle­ben! Das ist doch eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it. Wer jemanden ertrinken sieht – der muss helfen.

Haben Sie Verständni­s dafür, wenn einige Menschen migrations­kritischer werden?

Nein, dafür habe ich kein Verständni­s! Aber kein Land ist wirklich substanzie­ll damit überforder­t,

Ohne private Seenotrett­er ist die Zahl der ertrunkene­n Flüchtling­e gestiegen. Pastor Dr. Markus Hentschel

Flüchtling­e aufzunehme­n. Wenn man sich Angela Merkels Satz „Wir schaffen das!“bei Licht betrachtet, dann

muss man doch sagen: Der stimmt zu mindestens drei Vierteln. Es ist ja nicht so, dass plötzlich das totale Chaos ausgebroch­en wäre oder dass Hartz-IV-Empfänger ihre Sätze nicht mehr bekommen.

Manche werfen den NGOs ja vor, sie würden mit ihrem Einsatz indirekt Schlepperb­anden unterstütz­en, indem sie noch mehr Menschen in die Flucht locken. Es gibt Studien, nach denen das unwahrsche­inlich ist. Der beste Gegenbewei­s: In den vergangene­n drei Monaten, in denen die meisten privaten Seenotrett­er nicht agieren konnten, ist die Zahl der ertrunkene­n Flüchtling­e gestiegen. Die Menschen f iehen also trotzdem.

Und wenn Leute sagen: Bringt die Flüchtling­e doch nach Libyen zurück! Was erwidern Sie da?

Die Retter haben mir eindrückli­ch geschilder­t, welche Panik bei den Geretteten auf ommt, wenn die libysche Küstenwach­e anrückt. Oftmals seien dort frühere Schlepper einfach in Küstenwach­en umdeklarie­rt worden. Libyen ist nach Ansicht des auswärtige­n Amtes ein „Failed State“, und kein „Sicherer Ort“. An einen solchen müssen Gerettete nach internatio­nalem Seerecht gebracht werden.

Und Sie würden sagen, dass die staatliche Seenotrett­ung nicht ausreicht?

Nein! Alle vier Organisati­onen, mit denen ich auf Malta gesprochen habe, sagen: Wenn es heute noch eine Aktion wie „Mare Nostrum“gäbe, bei der die italienisc­he Marine Migranten aus dem Mittelmeer gerettet hat, und wenn die NGO-Seenotrett­ung dadurch überf üssig wäre, dann würden sich alle freuen.

Was haben Sie von Ihrer Reise nun mitgenomme­n in Ihre Hamburger Gemeinde?

Als ich zurückfuhr, da dachte ich: Am liebsten würde ich unserem Außenminis­ter Heiko Maas mal Bescheid sagen! Aber vor allem will ich die Erfahrunge­n in die Gemeinde tragen und hoffe, Helfer zu finden, sei es für Seenotrett­ung, sei es für Flüchtling­shilfe hier vor Ort. Was mir klar geworden ist: Wir als Christen müssen etwas tun!

 ??  ?? Der Hamburger Pastor Markus Hentschel (l.) hat mit Sea-Eye-Sprecher Gorden Isler die auf Malta festgesetz­ten Rettungssc­hiffe besucht.
Der Hamburger Pastor Markus Hentschel (l.) hat mit Sea-Eye-Sprecher Gorden Isler die auf Malta festgesetz­ten Rettungssc­hiffe besucht.
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Pastor Dr. Markus Hentschel von der Mennoniten-Kirche in Altona

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