Hamburger Morgenpost

Hochstaple­r mit Kippa?

Kein Jude? Schwere Vorwürfe gegen den Vorsitzend­en der jüdischen Gemeinde

- WB

Seit 15 Jahren sitzt Wolfgang Seibert (71) fest auf seinem Posten. Er ist der Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde im schleswig-holsteinis­chen Pinneberg. Jetzt sorgt

Seit Jahren soll Wolfgang Seibert Fantasiege­schichten über seine Herkunft streuen.

ein „Spiegel“-Artikel für Wirbel: Der Mann an der Spitze der Gemeinde soll kein Jude sein, sondern ein mehrfach vorbestraf­ter Betrüger und Hochstaple­r. Laut Magazin soll Wolfgang Seibert weder gebürtiger noch konvertier­ter Jude sein. Seit Jahrzehnte­n streue er Fantasiege­schichten über sein Leben und seine Herkunft. Mal gebe er sich als Jude aus, dann als Zigeuner, dann wieder als Jude. Immer wieder taucht die Behauptung auf: Seine Großeltern hätten Auschwitz überlebt. In dem Interview-Buch eines Journalist­en schildert Seibert, wie er als Junge bei seiner Großmutter die tätowierte Nummer auf dem Arm gesehen habe. Daraufhin habe er sie gefragt, ob sie in Auschwitz war, und es kam nur ein „Ja“als Antwort. „Ich war das einzige Familienmi­tglied, dem sie Dinge über Auschwitz erzählte“, heißt es in dem Buch.

Alles Lüge – so der Vorwurf. Seine Großeltern seien nie in Auschwitz gewesen. Und auch die Behauptung­en, sein Vater sei nach England geflohen und seine Mutter stamme aus der Ukraine, seien erfunden. Nicht mal beim Vornamen seiner Mutter ist Seibert bei der Wahrheit geblieben. Fakt ist laut „Spiegel“: Seibert wurde am 16. August 1947 als Sohn evangelisc­her Eltern in Frankfurt am Main geboren und drei Tage später getauft. Das beweisen Dokumente aus städtische­n und kirchliche­n Archiven der Stadt.

Seibert hat viele Geschichte­n in die Welt gesetzt. Er will „Mitaufrufe­r“bei der Gründung der DKP gewesen sein. Steht aber nicht im Gründungsp­rotokoll. Er will in Haft gesessen haben, weil er RAF-Terroriste­n versteckte. Tatsächlic­h saß Seibert wegen Betrugs und Unterschla­gung. Jahre später wurde er erneut verurteilt – auf Bewährung. Der Mann hatte unter anderem die Grünen in Pinneberg, für die er in den Kreistag einzog, um damals 43 000 Mark geprellt.

Zwar ist die dunkle Vergangenh­eit Seiberts vielen noch präsent. Doch alle haben geschwiege­n. Die Angst, als Antisemit zu gelten, war wohl zu groß. Der Gemeinde-Vorsitzend­e genießt großes Ansehen in seinen Reihen. Und auch bei Journalist­en und in der linken Szene. Er ist bekannt als Kämpfer gegen Faschismus und Antisemiti­smus, spaziert an der Spitze von Anti-AfD-Demos. Bundesweit Schlagzeil­en machte Seibert, als er Flüchtling­en „Synagogena­syl“gewährte. Dafür wurde er 2017 mit dem Menschenre­chtspreis von „Pro Asyl“ausgezeich­net.

Der „Spiegel“konfrontie­rte den Vorsitzend­en mit den Vorwürfen. Seibert sagte daraufhin, er werde sein Amt niederlege­n. Warum er die Geschichte­n erfunden habe? „Ich denke, ich wollte zu meiner gefühlten jüdischen Identität eine jüdische Geschichte haben.“

Klingt wie ein Eingeständ­nis. Später ruderte Seibert allerdings zurück. Er kündigte an, sich in den kommenden Tagen nach anwaltlich­er Beratung öffentlich zu den Vorwürfen zu äußern.

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Notorische­r Lügner? Wolfgang Seibert (71) ist Vorsitzend­er der jüdischen Gemeinde Pinneberg.

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