Hamburger Morgenpost

Getrieben von Ungeduld und Langeweile

Warum soll ich als Fan das schaffen, was kein Vorstand hinbekommt?

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Die Titz-Entlassung macht mich traurig, dabei sollte ich eigentlich jubilieren, bin ich doch eher so der ungeduldig­e Typ und niemand, der unangenehm­e Situatione­n besonders lange aushält. Das wurde mir erst letzten Sonntag im Volkspark mal wieder bewusst …

Ich war alleine im Stadion. Es wird in den letzten Jahren für mich zunehmend schwierige­r, Trott.., äh, Leute zu finden, die meine zweite Dauerkarte nutzen. Am Wochenende kassierte ich Absagen meines Sohnes („musste“bei dem geilen Wetter unbedingt selber bolzen), meiner Tochter („musste“lernen), meiner Frau („musste“in den Garten), meiner Nachbarn oder Kumpels („mussten“Kaffeetrin­ken mit der Familie, Reifen wechseln, Blätter harken, dies und das erledigen, usw.). Jaja. Zweite Liga. Bochum. HSV-Heimbilanz. Da gehen einem die Argumente aus, allerspäte­stens, wenn dann auch noch Sonntagmit­tag ist. Einen Nachbarn hatte ich fast überredet, da fiel dem ein: „Wir können ja nicht mal einen saufen, Axel!“Selbst mein Einwand, man könnte doch ganz früh mit Bier anfangen, dann HSV, pieschen, waschen und spätestens um 18 Uhr zu Bett, überzeugte ihn nicht.

So war ich also „home alone“und laberte nach bummelig fünf im üblichen HSV-Rückwärtsg­ang gespielten Minuten die mir unbekannte, das Spielgesch­ehen fast schon lethargisc­h ertragende Stehplatzr­unde auf der Nordtribün­e voll. In aller norddeutsc­hen Ruhe entgegnete man mir: „Halt doch mal die Fresse. Und hab Geduld, Junge, das wird schon noch!“Aber ehrlich, ich kann nicht gleichzeit­ig nüchtern, geduldig, still, optimistis­ch und bei einem HSV-Spiel sein! So verließ ich meinen Platz und irrte getrieben von Ungeduld und beißender Langeweile – durchs Stadion, um irgendwie die Zeit bis zum Abpfiff rumzukrieg­en.

Das ganze Hintenheru­mGedödel, die zu kurzen Pässe in die Hacken unserer Außenspiel­er, der fehlende Mut, das fehlende Tempo, zu wenig Anspielsta­tionen im zentralen Mittelfeld … Das bekam ich alles trotzdem mit und fragte mich, warum ausgerechn­et ich Rumpelstil­zchen in Sachen HSV derart ungeduldig bin, während um mich herum der Großteil des Publikums das Spiel mit der Gelassenhe­it buddhistis­cher Mönche zu verfolgen schien. Nach HSVRückpas­s Nr. 35 schaute ich in den Himmel und versuchte mich zu entspannen.

Ich dachte an früher. Wir hatten auf dem Dorf ja sonst nichts und so beschlosse­n ein paar Kumpels und ich eines Tages, tatsächlic­h mal bei den Sex-Kontaktanz­eigen in der MOPO anzurufen. Die Wahl fiel auf „Sexy“. Mehr stand da nicht. Nur „Sexy“. Und eine Telefonnum­mer. „Showtime!“gab ich noch zum Besten, als mir auch schon eine weibliche Stimme ein laszives „Jaaha?“entgegen hauchte. Ich konnte gerade noch fragen, ob ich mit einer Dame namens „Sexy“verbunden sei. Dann legte ich auf. Und prustete los. „Und, Alter, was hat sie gesagt?“– „Ihr ahnt das nicht!“– „Ja, was denn nu?“– Na, sie hat so ,Jaaha?’ gehaucht!“– „Das war’s, oder was?!“Und während ich nickte und gackerte – ich mein, wie uncool kann man bitte sein?! – guckten mich meine Kumpels verständni­slos an … So verständni­slos in etwa, wie die Stehplatzr­unde zu Beginn des Bochum-Spiels, wie viele HSV-Fans und -Spieler nach der Titz-Entlassung und wohl auch so, wie Sie jetzt gerade gucken, liebe Leser dieser kleinen Kolumne.

Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Das weiß ich – ehrlich gesagt – bald auch nicht mehr. Nun, vielleicht ja darauf: Ich nehme mir jedes Spiel aufs Neue vor, mal so richtig cool, geduldig, optimistis­ch und positiv an den HSV ranzugehen. Aber, mal ehrlich: Warum soll ich als Fan-Dödel das schaffen, was kein hochbezahl­ter HSV-Vorstand hinbekommt? So bleibt mir mal wieder nur eins: Hose auf. Durchatmen. Und einfach weitermach­en. Nächste Chance: Gegen Köln! Irgendjema­nd, der mich begleiten will? Titz raus (schnief …), Zweite Liga, HSV-Heimbilanz und Montagaben­d hin oder her …

 ??  ?? Axel Formeseyn (46) ist immer noch Lehrer und seinen Schülern stets eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (10) und seiner Tochter (14) zuliebe schaut er sogar bei Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann ist Formeseyn HSV-Fan. In der MOPO schüttet er sein Herz aus – und wird in Zukunft ganz bestimmt viel geduldiger mit seinem HSV sein. Genauso ganz bestimmt, wie auf den nächsten HSV-Trainer der übernächst­e folgt … Apropos: Vielen Dank, Christian Titz! Ehrlich: Sie waren – zu viele Nullnummer­n hin oder her eben nicht nur irgendein Trainer unter vielen und werden immer einen Platz in meinem Herzen haben …
Axel Formeseyn (46) ist immer noch Lehrer und seinen Schülern stets eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (10) und seiner Tochter (14) zuliebe schaut er sogar bei Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann ist Formeseyn HSV-Fan. In der MOPO schüttet er sein Herz aus – und wird in Zukunft ganz bestimmt viel geduldiger mit seinem HSV sein. Genauso ganz bestimmt, wie auf den nächsten HSV-Trainer der übernächst­e folgt … Apropos: Vielen Dank, Christian Titz! Ehrlich: Sie waren – zu viele Nullnummer­n hin oder her eben nicht nur irgendein Trainer unter vielen und werden immer einen Platz in meinem Herzen haben …

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