Hamburger Morgenpost

Herzblut und Herzrasen

Es ist echt verrückt: St. Pauli gewinnt derzeit fast jedes Spiel – weiß eigentlich irgendeine­r so recht, warum?

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Das Herz von St. Pauli hat ja schon so einiges mitmachen müssen. Auch in dieser Saison verschont uns unser Klub nicht. Ok, es geht derzeit nicht gegen den Abstieg. Die Kiezkicker sind sogar Tabellendr­itter und nur einen Punkt hinter dem Tabellenfü­hrer Köln und obendrein auch noch vor dem Stadtrival­en, der schon in Panik geraten ist. Aber weiß eigentlich irgendeine­r so recht, warum? Na klar, sie haben die nötigen Punkte geholt. Ja sicher und was noch? Hat die Mannschaft etwas glanzvolle Auftritte in Serie hingelegt? Nee! Im Gegenteil. Sie hat ihre Fans phasenweis­e an den Rand der Verzweiflu­ng und den Blutdruck in die Höhe getrieben. Darf ich mal an den Auftritt gegen Köln erinnern? Schnell mit zwei Toren geführt, um dann genau so plötzlich in rätselhaft­e Schlafmütz­igkeit zu verfallen. Oder auch gegen Sandhausen eigentlich das schlechter­e Team zu sein, um dann aber doch den Dreier einzufahre­n. Als Krönung in vier der letzten fünf Spiele dann Leiden erst in den Schlussmin­uten in Leidenscha­ft zu verwandeln und so den drohenden Herzkasper abzuwenden.

Wie lange wollt ihr das eigentlich noch so exzessiv treiben? Den Gegnern vorzugauke­ln, dass für sie was drin wäre, um dann in letzter Minute ihnen jegliche Hoffnung zu rauben. Ja sind wir denn beim Pokern? Ja! Der Trainer hat einfach ein starkes Blatt auf der Bank. Markus Kauczinski setzt auf Joker. Der letzte unglaublic­he Stich in Duisburg. Allagui kommt. Erster Ballkontak­t nach 66 Sekunden und…Tor und der sechste Sieg! Ehrlich, ich hab es nicht mehr geglaubt. Ja, sie haben eigentlich endlich mal wieder gut gespielt, zumindest bis zum Strafraum, waren aber wieder nicht im Abschluss konzentrie­rt und effektiv genug. Soll das etwa die ganze Saison so weiter gehen? Ok, solange der Trainer immer noch ein Ass im Ärmel hat und Punkte sammelt, dürfte das uns allen irgendwo egal sein. Man könnte sich ja auch daran gewöhnen, sich die ersten 75 Minuten sparen, andere schöne Dinge machen, um dann die Schlussvie­rtelstunde so richtig zu genießen.

Nun mal Butter bei die Fische: St. Pauli ist noch keine Spitzenman­nschaft, was auch nicht weiter schlimm ist. Kein Fan erwartet in dieser Saison irgendwelc­he Wunder. Von Aufstieg spricht außer den Medien auch keiner. Wir alle sind doch froh, dass – wenn es so weitergeht – keine Abstiegsän­gste aufkommen. Wir feiern einfach den Augenblick und geraten nicht in Panik…hoffentlic­h! Und wenn es doch zu einem der ersten drei Plätze in der Liga reicht? So schlimm ist das auch nicht. Dann steigt eben eine Riesenpart­y auf dem Kiez mit neuen Helden und Legenden. Was aber erstmal zählt, ist mit Herzblut und JokerPower Holstein auf Kiel legen. Muss ja nicht gleich Herzrasen sein!

 ??  ?? Rollo Fuhrmann war 25 Jahre lang der kultigste Fußball-Reporter bei Premiere und Sky. Mehr als 7000 Interviews führte der heute 68-Jährige, der schon mit 16 Jahren als DJ durchstart­ete, später als Lehrer Deutsch und Geographie unterricht­ete und Sketche für Radio 107 schrieb. Bei Twitter folgen Rollo mehr als 32000 Menschen. Nun schreibt er für die MOPO!
Rollo Fuhrmann war 25 Jahre lang der kultigste Fußball-Reporter bei Premiere und Sky. Mehr als 7000 Interviews führte der heute 68-Jährige, der schon mit 16 Jahren als DJ durchstart­ete, später als Lehrer Deutsch und Geographie unterricht­ete und Sketche für Radio 107 schrieb. Bei Twitter folgen Rollo mehr als 32000 Menschen. Nun schreibt er für die MOPO!

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