Der Kommentator mit dem Doktortitel
Aaron Chamberlain (27) arbeitete als Arzt in einer Klinik. Jetzt ist er einer der Stars der Videospiel-Szene
Von JULIAN KÖNIG UND DARIUS MATUSCHAK
Mit seiner Stimme bringt er die Fans in den Hallen zum Toben. Messerscharf und amüsant analysiert Aaron „Medic“Chamberlain die Spielzüge auf den Videowänden. Doch hier laufen keine Fußballspiele, werden keine Dartpfeile geworfen, nein, es läuft ein VideospielWettkampf, sogenannter eSport.
Denn mittlerweile hat der virtuelle Trend eine weltweit so dermaßen große Fangemeinde, dass Hallen und Stadien bei den Events problemlos gefüllt werden. Und Chamberlain ist einer der Stars der Szene – auch ohne Maus und Tastatur.
Die Barclaycard-Arena wird heute brechend voll sein. Schließlich steht zum zweiten Mal die „ESL One“an, das größte „Dota 2“-Festival Europas. Tausende Hamburger wollen ihre Helden sehen, live mitverfolgen, wer sich für das Finale qualifiziert. Immerhin geht es um richtig viel Kohle für das Siegerteam – und um ein paar Stunden voller Eindrücke, Jubelschreie, ausgelassene Stimmung. Immer angeheizt durch die Kommentatoren, die – ähnlich wie beim Dart – extrem wichtig sind für den Spaßfaktor des Events.
Das Computerspiel, das es Chamberlain angetan hat, heißt „League of Legends“. Der 27 Jahre alte Brite, der in Birmingham geboren wurde, hatte beruflich eigentlich einen anderen Weg eingeschlagen. Nach einem Studium der Medizin praktizierte er als Arzt auf der Insel. Mediziner zu sein sei wie eine Berufung für ihn gewesen, so Chamberlain. „Ich denke, der Grund dafür ist, dass meine Mutter damals sehr krank war. Sie hatte Brustkrebs. Die zahlreichen Begegnungen mit Ärzten und Krankenhäusern und die Liebe und Hingabe, die diese Leute in die Pflege und Behandlung der Patienten gesteckt haben, haben mich inspiriert.“
Doch ein Zwischenfall in dem Krankenhaus, in dem er arbeitete, veränderte ihn. Chamberlain musste einen alten Mann, der im Sterben lag, mit einer Herz-LungenMassage wiederbeleben. Anschließend erbrach sich der Mann und lag in seinen Exkrementen. Das ging Chamberlain nicht mehr aus dem Kopf: „Es hat mich gebrochen, dass ich jemandem so etwas antun musste. Jemandem, der Würde und Respekt verdient hat.“
Er kehrte der Medizin den Rücken – und weil er schon während des Studiums nebenbei eSport-Spiele kommentiert hatte, versuchte er es dort. Nach mehreren Stationen unterschrieb er 2017 bei „Riot Games“, dem Entwickler von „League of Legends“. Seither feiern ihn die Fans als „Medic“, den kommentierenden Arzt.