Hamburger Morgenpost

Es steht in Sonne, Mond und Sternen

Die Himmelssch­eibe von Nebra hat viel zu erzählen. Ein Interview mit Forscher Harald Meller

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Die 1999 von Raubgräber­n entdeckte Himmelssch­eibe von Nebra wurde einst auf dem Schwarzmar­kt angeboten. Der Forscher Harald Meller traf sich daraufhin als vorgeblich­er Kaufintere­ssent in einem Basler Hotel mit den Hehlern. Dann trat die Schweizer Polizei hinzu. Meller rettete mit seiner Aktion einen der wichtigste­n archäologi­schen Funde unserer Zeit. Mittlerwei­le gehört die Bronzesche­ibe, die etwa einen Durchmesse­r von 32 Zentimeter­n hat, zum UNESCO-Welterbe. Jetzt legt Meller mit dem Historiker Kai Michel ein Buch vor, in dem er jene erstaunlic­he, fast 4000 Jahre alte Welt rekonstrui­ert, aus der die Scheibe stammt.

Wir sprachen mit ihm in Halle im Landesmuse­um für Vorgeschic­hte, dessen Direktor Harald Meller ist. Meller ist ein Enthusiast. Das ihm gemäße Medium ist die Liveübertr­agung. Die schriftlic­he Fassung bietet nur einen sehr schwachen Eindruck von seinem Scharfsinn, seinem Witz, von seiner Begeisteru­ng, die er für das große, überwältig­ende Ganze ebenso hegt wie fürs winzigste, ja oft nur auf den ersten Blick nebensächl­iche Detail.

MOPO am Sonntag: Gibt es irgendwo auf der Welt etwas, das der ersten Fassung der Himmelssch­eibe vergleichb­ar ist, auf der nur der Mond und die Sterne zu sehen sind – ohne auch nur die geringste Spur von Mythologie?

Harald Meller: Eigentlich nicht. Das ist ja das Irrsinnige an unserer Scheibe. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke: Auf Himmelsdar­stellungen des Altertums wimmelt es von Jungfrauen, Drachen und anderem mythologis­chen Getier. Hier aber sehen wir das Werk eines Menschen, der uns vertraut erscheint: ein Aufklärer, ein Agnostiker. Der Schöpfer der Himmelssch­eibe kümmert sich nicht um Götter und Mythologie­n. Dem geht es ums pure Wissen. Und das in keiner der Hochkultur­en des Altertums, sondern hier im dunklen Herzen Europas.

Woher kommt diese Rationalit­ät?

Die Scheibe ist in ihrer Urversion ein Memogramm. Ihr Schöpfer verfügte über keine Schrift, er wollte eine Schaltrege­l, die vermutlich aus Mesopotami­en stammt, festhalten. Mit ihr lassen sich das unterschie­dlich lange Sonnen- und Mondjahr in Harmonie bringen. Damit hatte man zum ersten Mal einen taggenauen Kalender. Wie er das in ein Bild bannt, ist genial. Schön und einfach wie die Relativitä­tsformel: E=mc2.

Ich dachte, die Scheibe zeigte ursprüngli­ch den Mond und 32 Sterne. Die Sonne sei erst dazugekomm­en, als in einer zweiten Phase die goldenen Bögen am Rand hinzugefüg­t wurden.

Für die Schaltrege­l sind Vollmond und Sichelmond entscheide­nd. Erst später werden rechts und links die beiden Horizontbö­gen befestigt. Sie markieren die Bereiche, in denen die Sonne zwischen den Sonnenwend­en auf- und untergeht. Sehen Sie sich den Vollmond einmal ganz genau an. Hier ist eine kleine Korona. Sehen Sie diese feinen Strahlen? Das könnte darauf hindeuten, dass nun die Sonne gemeint ist.

Noch einmal: Gibt es solch einen mythologie­freien Himmel nicht irgendwo sonst in der Welt des Altertums?

Es gibt in der Unas-Pyramide eine über 4000 Jahre alte Sternendec­ke. Aber da sind Sterne dekorativ in Reih und Glied angeordnet – das ist keine Himmelsdar­stellung. Da müssen Sie schon nach China gucken!

Wohin dort?

In die Grabkammer von Yuan Cha aus der nördlichen Wei-Zeit (386–534 n. Chr.). Fantastisc­he Sternendec­ken. Das waren großartige Astronomen.

Keine Drachen oder Affen?

Völlig frei von jeder Mythologie. Reine Wissenscha­ft. Leider wurde nur wenig darüber publiziert. Ich war dort und tief beeindruck­t. Aber die Deckenmale­reien stammen aus der Zeit um 500 nach Christus. Unsere Scheibe ist 2300 Jahre älter!

Das Gold auf ihr kam aus England, das Kupfer aus den Alpen, die Technik aus Mykene und das

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Harald Meller, Chef des Landesamte­s für Denkmalpfl­ege und Archäologi­e SachsenAnh­alt und des Landesmuse­ums für Vorgeschic­hte in Halle

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