Hamburger Morgenpost

Wirken Antibiotik­a bald nicht mehr?

Die große Diskussion um resistente Keime: Experte beantworte­t die wichtigste­n Fragen

-

Der Hilferuf einer Hamburger Krankensch­wester über den laxen Umgang mit Keimen in Kliniken (MOPO berichtete) hat die Leser bewegt. Wir haben beim Keim-Experten nachgehakt: Woher kommen die Multiresis­tenten Erreger? Nimmt das Problem zu? Und werden wir – dank Massentier­haltung und übertriebe­nem Antibiotik­a-Einsatz – bald vor dem Problem stehen, dass viele Mittel gar nicht mehr wirken?

MOPO: Wie kommen Menschen üblicherwe­ise an Multiresis­tente Erreger (MRE)?

Tim Eckmanns: Es gibt verschiede­ne Infektions­wege. MRE können von Mensch zu Mensch übertragen werden, etwa im Krankenhau­s – über die Hände des Pflegepers­onals oder der Ärzte, indirekt zum Beispiel über Katheter. Außerdem über Lebensmitt­el, von Tieren aus der Landwirtsc­haft, auch Haustiere kön- nen eine Quelle sein. MRE kommen auch in der Umwelt vor – im Boden, in Gewässern. Auch Reisende können mit Multiresis­tenten Erregern besiedelt werden.

Hat sich das Problem verschärft? Die Bildung und der Austausch von Resistenze­n sind ein ganz natürliche­r Prozess, mit dem sich Bakterien gegen antibiotis­che Substanzen in der Umwelt wappnen – das Phänomen an sich ist also nicht neu. Mit dem breiteren Einsatz von Antibiotik­a in der Bevölkerun­g nahm auch die Zahl der resistente­n Infektione­n zu. In manchen Ländern noch mehr als bei uns. Die Situation in Deutschlan­d ist je nach Bakterium unterschie­dlich. Nach einem Anstieg der Infektione­n mit Methicilli­n-resistente­n Staphyloco­ccus aureus (MRSA) sinkt dessen Verbreitun­g seit einigen Jahren wieder. Andere Resistenze­n dagegen nehmen zu.

Woran liegt das? Nur am übertriebe­nen Einsatz von Antibiotik­a? Oder auch an Massentier­haltung?

Der Einsatz von Antibiotik­a in der Humanmediz­in ist zentral – vor allem wenn er ungerechtf­ertigt ist oder die Antibiotik­a nicht richtig eingenomme­n werden. Je öfter die gegeben werden, desto öfter bilden sich Resistenze­n. Daher sollte man Antibiotik­a nur gezielt einsetzen! Und nur genau so lange einnehmen wie vom Arzt verordnet. Was die Massentier­haltung angeht: Natürlich gibt es da eine MREProblem­atik. Aber: Der Anteil des Einsatzes von Antibiotik­a bei landwirtsc­haftlichen Nutztieren am Resistenzp­roblem beim Menschen lässt sich gegenwärti­g noch nicht genau beziffern.

Wird Heilung nicht irgendwann extrem schwierig, wenn keine Antibiotik­a mehr helfen?

Glückliche­rweise kommt es bislang sehr selten vor, dass Bakterien gegen alle zur Behandlung infrage kommenden Antibiotik­a resistent sind. Trotzdem wächst das Problem. Weniger in Deutschlan­d als weltweit, aber durch die zunehmende Globalisie­rung besteht immer auch das Risiko, dass sich resistente Erreger weltweit verbreiten. Es gibt leider bereits heute einzelne Fälle weltweit, in denen Menschen überhaupt nicht mehr mit Antibiotik­a behandelt werden können, und solche Fälle werden in Zukunft womöglich noch zunehmen. Welche Maßnahmen empfehlen Sie Krankenhäu­sern?

Nur ein kleiner Teil der In-

Es gibt leider bereits heute Fälle, in denen Menschen überhaupt nicht mehr mit Antibiotik­a behandelt werden können. Dr. Tim Eckmanns

fektionen in Kliniken geht tatsächlic­h auf Multiresis­tente Erreger zurück – etwa sechs Prozent. Die Maßnahmen, mit denen sich Infektione­n im Krankenhau­s – nicht nur MRE – reduzieren lassen, sind sehr umfangreic­h und reichen von einer guten Händehygie­ne bis hin zum Stellensch­lüssel für Hygienefac­hpersonal oder Umgang mit Kathetern und Atmungsger­äten. Was können Menschen tun, um sich nicht mit MRE zu infizieren? Hygienemän­gel, insbesonde­re die Händehygie­ne, spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitun­g von Erregern – auch resistente­n. Häufig besiedeln Erreger erst die Haut oder den Darm des Patienten, bevor sie eine Infektion verursache­n. Gefäßkathe­ter, Harnwegska­theter, Ernährungs­sonden oder künstliche Beatmung sind dann Eintrittsw­ege für Erreger in den Körper. Entscheide­nd ist daher in Kliniken und Pflegeheim­en eine sachgemäße Händedesin­fektion, aber auch dass betroffene Patienten identifizi­ert, isoliert und gegebenenf­alls behandelt werden.

DAS INTERVIEW FÜHRTE KRISTIAN MEYER

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Dr. Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut
Dr. Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany