So lebt es sich „An den Rändern der Welt“
Naturfotograf Markus Mauthe über Rentierfelle, Leid und Vielfalt
Sie leben im Eis, auf Booten oder im Regenwald: indigene Volksgruppen. Naturfotograf Markus Mauthe (49) ist zu ihnen gereist und zeigt im Kinofilm „An den Rändern der Welt“und in einer Live-Show, wie diese Völker leben. Im MOPO-Interview erzählt der Umweltaktivist, warum sie bedroht sind.
MOPO: Wieso beschäftigen Sie sich mit indigenen Völkern? Markus Mauthe: Als ich bei Greenpeace angefangen habe, habe ich Vorträge über Wälder gehalten. Irgendwann habe ich mich umgeguckt, wie andere Lebensräume aussehen. Wir leben im Umbruchzeitalter: Klimawandel, Artensterben, immer mehr Menschen leben auf der Erde. Meine Frage war: Wie gehen kleine Menschengruppen, die näher an der Natur leben als wir, mit diesem Wandel um? Wir haben in unserem Alltag fast den Kontakt zur Natur verloren. Aber es gibt Menschen, die von intakter Natur abhängig sind.
Wie sind Sie vorgegangen? Grundidee war: Ich suche mir relevante Lebensräume – Wasser, Eis, Wald und Grasland – heraus, die zeigen, wie vielfältig sich der Mensch angepasst hat. Ich habe geguckt, wo es künstlerisch interessante und ökologisch relevante Geschichten gibt. Am Schluss war ich bei 22 Volksgruppen. Der Kinofilm erzählt schwerpunktmäßig drei Geschichten. Eine über Afrika (Südsudan und Äthiopien), die zweite Geschichte geht rüber nach Indonesien ins Wasser und die dritte geht nach Brasilien in den Wald. In meiner LiveShow erzähle ich mehr. Welche Lebensweise hat Sie am meisten beeindruckt?
Mich beeindruckt jede Lebensweise, bei der Menschen noch mit und von der Natur leben und Kreisläufe intakt sind. Das ist in Russland bei minus 50 Grad genauso beeindruckend wie im Tropenwald. Für mich hat es etwas Beglückendes, dass wir vieles von dem, von dem wir denken, dass wir es brauchen, gar nicht brauchen. Interessant ist die Lebensweise der Tschuktschen in Tschukotka, Russland. Die leben in normalen Städten, die Kinder gehen ins Internat. In dem Moment aber, wenn sie mit ihren Rentierherden in die Natur gehen, switchen sie in das, was sie seit Jahrtausenden sind. Oft
Brasilien ist ein Hotspot der Gewalt gegen Indigene und der Naturzerstörung. Markus Mauthe, Fotograf
gehen durch moderne Errungenschaften alte Dinge kaputt oder verschwinden, weil man sie nicht mehr braucht oder es etwas Besseres gibt. Bei den Tschuktschen ist es aber so, dass es nichts Besseres gibt als doppelt gelegtes Rentierfell als Kleidung und Behausung. Im Zelt haben sie dadurch 15 Grad – draußen minus 40. Inwiefern sind diese indigenen Völker bedroht?
Durch Globalisierung, Raubbau und Klimawandel gibt es kaum noch Orte, an denen diese Menschen in Ruhe gelassen werden. Nur wenige Völker sind von ihren sozialen und kulturellen Strukturen intakt. Dabei ist Wandel an sich nicht schlimm. Wir leben auch in einer Gesellschaft, die sich ständig wandelt. Nur: Bei diesen Völkern geht es zu schnell. Sie haben keine Chance, in der neuen Realität mit einer fairen Basis anzukommen. Meist geht das mit Identitätsverlust einher. Sie verlieren ihre Würde und schämen sich, zu einer vermeintlich minderwertigen Gesellschaft zu gehören.
Wo ist es am schlimmsten? Brasilien ist ein Hotspot der Gewalt gegen Indigene und der Naturzerstörung, Südostasien auch. Der kulturelle Wandel geht zu schnell.
Was wollen Sie jetzt eigentlich mit dem Film bewirken?
Dass wir darüber nachdenken, was für eine wunderschöne Welt wir haben, und es höchste Zeit ist, über unseren Tellerrand zu schauen. Wir verursachen mit unserem Lebensstil Leid. Ich will positiv einwirken und sagen: Leute, es lohnt sich, etwas zu tun. Denn wenn wir die Vielfalt des Planeten erhalten, haben alle etwas davon – in erster Linie unsere Kinder.
Kinofilm: Start 1.11., Abaton, Koralle, Schanzenkino, Blankeneser Kino Live-Show: 13.11., Laeiszhalle, 19.30 Uhr, Eintritt frei