Darum floh ich aus der Schanze
Keine Lust mehr auf Dreck, Stress und hohe Mieten: Das neue Landleben einer Mutter (30) aus Hamburg
Ich bin zwischen St. Pauli und Eppendorf aufgewachsen, bin in der Schanze schon zur Grundschule gegangen und habe dort auch die letzten Jahre mit meinem Mann und mit unseren Zwillingen (4) gelebt. Im Sommer haben wir der Großstadt den Rücken gekehrt, haben unsere große und bezahlbare Altbau-Wohnung in der Schanze geräumt und sind ins Umland gezogen. Seither fühle ich mich zwar etwas uncooler, aber absolut entspannt.
Der Grund für den Umzug? Mit den Kindern haben sich unsere Bedürfnisse geändert. Früher haben wir all die Vorteile des Stadtlebens genossen. Wir sind abends losgebummelt oder haben uns bei gutem Wetter in eines der vollen Restaurants am Gehweg gequetscht.
In den letzten Jahren hat uns vieles zunehmend genervt. Wie soll man als Anwohner in einem Stadtteil parken, wo alle Parkplätze entweder eingeschränktes Halteverbot sind oder höchstens zwei Stunden geparkt werden darf ? Die wenigen Parkplätze werden dann von ständigen Baustellen blockiert oder von Vergnügungsgästen belegt. Die Parkplatzsuche mit den Kindern und den Einkäufen wurde zunehmend zum Albtraum. Daheim angekommen ging es in den dritten Stock.
Der Alltag mit Kindern ist in der Stadt eine Herausforderung – und das an jeder Ecke. All meine Synapsen waren auf Alarmmodus, wenn ich mit den Lütten durch die Schanze zu unserem Auto getapert bin. Fahrradweg links, Glasscherbe rechts, Achtung Ampel und bitte nicht beim Schlendern mit der Hand gemütlich die Wand entlangfahren. Pipi-Höhe, ihr wisst schon.
Vor den überfüllten Spielplätzen sind wir am Wochenende immer geflohen. Gerade wenn das Wetter gut war, hatten wir einen tierischen Aktionsdruck. Damit uns zu Hause die Decke nicht auf den Kopf fällt, haben wir Ausflüge ins Grüne gemacht, den halben Hausstand für alle Eventualitäten eingepackt und ab in die Natur. Raus aus der Stadt. So oft habe ich mich danach gesehnt, die Gartentür aufzumachen und die Jungs und ihre Energie einfach rauszulassen, ohne dass es zwangsläufig mit so viel Aufwand für uns verbunden ist.
Jetzt wohnen wir hier, etwas über 30 Kilometer nördlich von Hamburg, zwischen Maisfeldern und Pferdehöfen. Wir wohnen zur Miete in einem großen Haus und zahlen viel weniger als für unsere Stadtwohnung. Dafür haben wir mehr Platz, einen Schuppen und einen Garten. In 40 Minuten sind wir in Hamburg und momentan pendeln wir sogar jeden Tag, denn Büro und Kita sind noch in der Stadt.
Wir wohnen zwar günstiger als vorher, zahlen aber momentan für die Pendelei und die Kita-Gebühren, die wir trotz des Kitasitzes in Hamburg als WahlSchleswig-Holsteiner tragen müssen, ungefähr die gleichen Fixkosten wie noch vor dem Umzug. Das wird sich aber – spätestens wenn die Jungs hier zur Schule kommen – ändern. Dafür leben wir nun in einem kleinen Idyll, das uns in Hamburg mindestens das Doppelte an Miete gekostet hätte. So wie wir jetzt wohnen, könnten wir es uns in Hamburg nicht mal am Stadtrand leisten. Sogar für ein gequetschtes Reihenhaus in Schnelsen hätten wir deutlich mehr bezahlen müssen.
Im Gegenzug nehmen wir ein klein bisschen Sehnsucht gerne in Kauf, auch wenn das Pendeln schon nervig ist, keine Frage. Morgens sind wir mit Stau manchmal eine Stunde unterwegs!
Ich liebe es, nachmittags nach Hause zu kommen, zu parken und einfach da zu sein. Die Jungs gehen schon mal rein oder verschwinden gleich im Garten, während ich Einkäufe auspacke oder schon mal das Abendbrot vorbereite. Ich glaube, dass es den Jungs richtig guttut, hier mit uns im Garten zu werkeln.
Klingt ziemlich idyllisch und auch ein wenig spießig. Ja, das kann sein. Und es tut uns als Familie gut. Unser Stadtleben im Szeneviertel hat sich sicher ’ne Nummer cooler angehört (und angefühlt), aber den Stress, den es bei uns Eltern ausgelöst hat, haben wir eins zu eins an unsere Kinder weitergegeben.
Nochwerdenwirvielbesuchtundunsere Freunde genießen es, mit uns am Feuer zu sitzen und der Stadt auch mal für einen Tag zu entfliehen. Wir hoffen, dass das so bleibt.
Ansonsten waren wir auch in den letzten Jahren viele Abende eher gemütlich unterwegs, als um die Häuser zu ziehen. Wenn ich ausgehe und mich mit Freunden treffe, dann lasse ich das Glas Wein weg und düse abends über die leere Autobahn zurück in unser Häuschen oder mache es mir auf der Gästecouch gemütlich. Ich glaube, dass es immer im eigenen Ermessen liegt, wie sehr man sich durch die Stadtflucht auch gleichzeitig aus dem alten Leben kegelt. Mir gefällt die Mischung super und ich versuche meine Flexibilität zu bewahren.
So richtig Anschluss haben wir noch nicht gefunden und auf der Suche nach einem guten Sushi-Lieferanten bin ich auch noch, aber da wir ja auch erst vor ein paar Monaten hergezogen sind, bin ich ganz optimistisch, dass sich alles fügen wird.
Wenn wir als Familie draußen sind, die Feuerschale anmachen und ich beobachte, wie entspannt und unbefangen die Kinder hier im Garten herumstromern, dann weiß ich, dass es genau die richtige Entscheidung war, die Stadt zu verlassen.
Wir wohnen 30 Kilometer von Hamburg entfernt, zwischen Maisfeldern und Pferdehöfen.