Hier entschuldigt sich Kanadas Premier bei Juden aus Hamburg
Schiff mit Flüchtlingen wurde 1939 abgewiesen. Viele starben im KZ
Ein dunkles Kapitel Menschheitsgeschichte: die „Irrfahrt der St. Louis“. Jetzt, nach 79 Jahren, entschuldigt sich Kanadas Premier Justin Trudeau und bittet im Namen seines Landes um Verzeihung bei mehr als 900 Juden, die 1939 in Hamburg an Bord eines Schiffes gingen und vergeblich auf Asyl jenseits des Atlantiks hofften. „Durch die Weigerung zu helfen“habe sich Kanada mitschuldig gemacht, sagte Trudeau in einer Rede vorm Parlament in Ottawa.
1939 hatte Kanada auf die Frage, wie viele deutsche Juden das Land denn bereit sei aufzunehmen, zynisch geantwortet: „None is too many“(„Keiner ist zu viel“). Ein Satz, für den sich Trudeau heute schämt. „Wir entschuldigen uns für diese Herzlosigkeit. Wir entschuldigen uns bei all jenen, die den Preis für unser Nichtstun bezahlt haben, die wir zum Horror der Todeslager verdammt haben.“Diese Entschuldigung sei „lange überfällig gewesen“.
Unter dem Titel „Die Reise der Verdammten“ist die Geschichte 1976 unter anderem mit Faye Dunaway und Max von Sydow verfilmt worden: Das Drama beginnt am 13. Mai 1939, wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Als die „St. Louis“, ein Passagierschiff der Reederei Hapag, in See sticht, hat es mehr als 900 Juden aus ganz Deutschland an Bord, die Angst haben, im KZ zu enden. Sie alle sind erleichtert, als das Schiff die deutschen Hoheitsgewässer hinter sich gelassen hat: Ihre Rettung, so glauben sie, ist mit Händen zu greifen. Ein Irrtum.
Die „St. Louis“nimmt Kurs auf Kuba. Die Passagiere haben viel Geld bezahlt für ihr Visum. Umso größer die Empörung, als das Schiff Havanna erreicht und bekannt wird, dass Federico Brú, Kubas Präsident, die Einreiseerlaubnis widerrufen hat. Es kommt zu furchtbaren Szenen. Ein Passagier verübt aus Verzweiflung Selbstmord.
Kapitän Gustav Schröder verhandelt tagelang mit den kubanischen Behörden und kann so immerhin erreichen, dass 23 Passagiere von Bord gehen dürfen. Auf mehr Entgegenkommen ist nicht zu hoffen. Das Schiff muss die kubanischen Gewässer verlassen.
Kapitän Schröder hofft, dass sich Kanada oder die USA der Flüchtlinge erbarmen. Doch beide Länder weigern sich. Und obwohl die Irrfahrt der „St. Louis“inzwischen die Schlagzeilen der Weltpresse beherrscht, erklärt sich auch sonst kein Land bereit, die Menschen aufzunehmen. Als das Schiff Kurs auf Europa nimmt, wächst die Angst der Passagiere, zurückkehren zu müssen nach Hitler-Deutschland.
Doch so weit kommt es nicht. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung erklärt sich Belgien im letzten Moment bereit, das Schiff anlegen zu lassen. England, Frankreich und die Niederlande sagen zu, einen Teil der Flüchtlinge zu übernehmen. Am 17. Juni 1939 erreicht die „St. Louis“Antwerpen, die Odyssee ist vorbei.
Alle 287 Passagiere, die Asyl in Großbritannien finden, überleben den Holocaust. Die 620 aber, die auf dem Kontinent bleiben, fallen später mehrheitlich den Deutschen in die Hände, als die Wehrmacht Frankreich, Belgien und die Niederlande besetzt. 254 von ihnen werden im KZ ermordet.
Hätten die USA und Kanada 1939 geholfen, wären diese Menschen noch am Leben. „Die Zeit hat Kanada nicht von seiner Schuld freigesprochen oder das Gewicht der Schande gemindert“, so Trudeau. Er rief die Kanadier dazu auf, sich stets Ausländerhass und Antisemitismus entgegenzustellen. 17 Prozent aller Hassverbrechen in seinem Land richteten sich gegen Juden. Antisemitismus sei nicht Vergangenheit.
Wir entschuldigen uns bei all jenen, die den Preis für unser Nichtstun bezahlt haben – die wir zum Horror der Todeslager verdammt haben. JUSTIN TRUDEAU