„LebensmittelKonzerne lügen wie gedruckt“
„Mutterland“-Chef Jan Schawe über lokale Leckereien und linke Tricks der Industr e
druckt. Verpackungen zeigen oft Früchte und Co., die maximal als künstliches Aroma enthalten sind. In TVSpots wird mitunter mit Herstellungsprozessen geworben, die gar nicht stattfinden. Oft tun Konzerne so, als ob ihre Untermarken kleine Start-ups sind, die man unterstützen sollte, weil sie lokal, bio, vegan oder irgendein anderes verkaufsförderndes Blabla sind. „Honest Tea“von „Coca- Cola“zum Beispiel. Schick im HipsterÖko-Design. Und das, wo „Coca-Cola“ein riesiger Plastikverschmutzer ist.
Was tun Sie mit Ihrem Unternehmen für die Umwelt?
Plastiktüten gab’s bei uns noch nie. Wir beziehen Öko-Strom, lassen unsere Verpackungen aus Recyclingmaterialien herstellen. Nicht verkauftes frisches Essen wird an Hilfsorganisationen gespendet. Wir haben bei Milchprodukten ein Verpackungs-Pfandsystem, bieten Rabatt auf Heißgetränke, wenn Kunden eigene Coffeeto-go-Becher mitbringen. Wir stellen uns täglich auf den Prüfstand: Wo können wir besser werden? Oft sind es Kleinigkeiten. So versuchen wir im Büro das Papier zu reduzieren, unsere Transportwege kurz zu halten.
Warum sind regionale und saisonale Produkte aus kleinen Manufakturen so hochpreisig?
Es stimmt, die fünfköpfige Familie kommt am Freitag nicht zu mir ins Geschäft, um den gesamten Wocheneinkauf zu erledigen. Es ist natürlich der kleine Luxus, sich eine Tafel Schokolade für fünf Euro zu kaufen. Aber um die Frage zu beantworten: Die Produkte sind etwas te er, weil sie anders hergeste werden als Industrieprodu te. Wenn man überlegt, w aufwendig es ist, eine M melade oder ein Chutney kochen. Wenn alles in kl nen Mengen im Topf zub reitet wird, das Obst vorh womöglich per Hand a dem Biohof gepflückt wur ist es was anderes, als we die Marmeladenmasse dur Fabrik-Rohre gepresst und mit Konservierungsstoffen länger haltbar gemacht wird. Billig wird es zudem, wenn die Bauern schlecht bezahlt werden. Schokolade für 60 Cent? Das geht zulasten der Menschen, die am Herstellungsprozess beteiligt sind. Konkret: Für unseren BilligKakao-Konsum werden die Arbeiter auf den Plantagen ausgebeutet. Da vergeht mir der Appetit!
Schmeckt eine teure Edel-Schokolade wirklich besser?
Das muss jeder selbst entscheiden. Ich persönlich finde, man merkt den Unterschied bei vielen Lebensmitteln. Bei Kaffee erkenne ich gleich die Qualitätsunterschiede. Man fühlt die Röstaromen quasi am Gaumen. Ebenso geht es mir bei Gebäck. Da schmeckt man, ob eine gute Butter oder billiges Backfett verwendet wurde.
Aber man zahlt auch für die hübschen Verpackungen, oder?
Das tut man bei den großen Firmen ebenso. Allerdings gebe ich zu: Es gibt gerade in der Feinkostbranche vieles, wo mehr Schein als Sein ist.
Was meinen Sie damit konkret?
Ich war bei vielen Manufakturen vor Ort – und war so manches Mal enttäuscht. Nicht bei allen steckt echtes Handwerk dahinter. Wenn mir Backmischungen angeboten werden, die sich aus vier „Metro“-Zutaten zusammensetzen und dank schickem Etikett als „Omas Geheimrezept“angepriesen werden, dann sage ich: Auf Abzocke, Mogelpackungen und Verarsche meiner Kunden habe ich keinen Bock.
Sie müssen ja nach elf Jahren ein detektivartiges Gespür für feine Lebensmittel haben!
Mein Beruf ist in der Tat mit viel Akribie und Zeiteinsatz verbunden. Gerade bei neuen Herstellern interessiere ich mich für die Produktionsschritte. Woher kommen die Rohstoffe, was ist die Motivation der Inhaber? Wie wichtig ist ihnen die Qualität? Ich nehme nur Manufakturen aus Deutschland, weil ich glaube, es ist out und ökologisch nicht mehr vertretbar, sich Wasser von den FidschiInsel einfliegen zu lassen. Exotisch gleich Luxus, diese Rechnung ging in den 80er Jahren auf. Heute geht es um Geschmack und die Frage, wie und wo wird meine Nahrung hergestellt. Dabei sehe ich mich wie einen Schatzsucher auf einer kulinarischen Expedition. Ich möchte mit „Mutterland“eine Ergänzung zu den SupermarktSortimenten sein.
Welches Produkt wurde Ihnen förmlich aus der Hand gerissen, als Sie es neu ins Angebot aufgenommen haben?
Der Siegeszug von „Gin Sul“war unplanbar. Ich war einer der Ersten, die den guten Tropfen aus Bahrenfeld ins Programm aufgenommen hatten. 24 Flaschen standen zum Start im Regal – ich musste am nächsten Tag gleich nachbestellen.
Was sind momentan Ihre kulinarischen Favoriten?
Bei den täglich frischen Riesenzimtsternen aus unserer hauseigenen Bäckerei schmelze ich dahin. Von unseren Franzbrötchen bin ich ein Riesen-Fan. Irre köstlich ist auch das Glühweingewürz, das ich für Wein, ebenso wie für Apfel- und Traubensaft benutze. Und: die Marzipan-Kartoffeln von „Sawade“! Ein Traum, die würde ich mir gern täglich gönnen.
Verhungern werden Sie bei Ihrer Arbeit sicher nicht!
Das ist ein heikles Thema. Ich kämpfe immer mal wieder mit meinem Gewicht. Schließlich habe ich die Verlockungen ständig vor der Nase. Und bei Verkostungen kann ich ja schlecht sagen: Nein danke, bin auf Diät.
Es ist natürlich Luxus, sich eine Tafel Schokolade für fünf Euro zu kaufen. Genuss-Experte Jan Schawe