Hamburger Morgenpost

Der Staat kapitulier­t vor kriminelle­n Banden!

Der wütende Standpunkt eines Kommissars:

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Die Hamburger Morgenpost möchte sich mit der Bekämpfung von Organisier­ter Kriminalit­ät (OK) befassen, ernsthaft? Ich fühle mich durch diese Standpunkt­anfrage der MOPO geehrt, finde sie aber auch irgendwie goldig. Denn weder hier in Hamburg noch im Rest der Bundesrepu­blik wird OK ernsthaft bekämpft und das liegt nicht an den wenigen Polizisten, die in der Regel hoch motiviert in diesem Bereich arbeiten.

OK gab es schon immer und wird es immer geben, regional, national und internatio­nal. Das Konzept „OK“ist dabei denkbar simpel: Illegalitä­t erhöht die Gewinnspan­nen! Daher wird es stets Anreize geben, sich nicht gesetzesko­nform und damit kriminell zu verhalten. OK zielt ausschließ­lich auf Gewinn- und Einflussma­ximierung ab. Hierzu könnte man nun eifrig Organisier­te-Kriminalit­äts-Definition­en und Statistike­n aufführen – langweilig.

Die MOPO-Leser dürften sich allerdings viel mehr dafür interessie­ren, wie es aus Sicht des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter um das eigene Land, die eigene Stadt in Bezug auf die Bekämpfung von OK bestellt ist. Ich sage mal: schlecht. Zum einen ist die Bundesrepu­blik ein Transitlan­d für Waren- und Geldströme, zum anderen sind Wirtschaft und Politik in Teilen korrumpier­t und involviert, Globalisie­rung und Digitalisi­erung nicht zu vergessen. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Ermittlung­sbehörden grundsätzl­ich arbeitsfäh­ig sind. Nein, sind sie nicht. Es ist hinlänglic­h bekannt, dass es ihnen an Personal und vor allem an rechtlich zulässigen Maßnahmen und Mitteln fehlt. So kann die Polizei standardmä­ßig verschlüss­elte Kommunikat­ion nicht überwachen, Massendate­n oder Funkzellen nur eingeschrä­nkt auswerten. Unzulängli­che Vorratsdat­enspeicher­ung und Datenschut­z verhindern die Aufklärung von Tat- und Täterzusam­menhängen.

Die Arbeitspla­tzausstatt­ung der Hamburger Polizei erlaubt lediglich einen eingeschrä­nkten Internetzu­griff ohne Ton, der Datentrans­fer erfolgt quälend langsam, sofern er denn überhaupt zustande kommt und die „digitale Akte“lässt seit Jahren auf sich warten. Um OK zumindest in Europa erfolgreic­h zu bekämpfen, bedürfte es eines Euro-BKA und einer Euro-Staatsanwa­ltschaft mit maßgeschne­iderten Befugnisse­n. Doch in Zeiten der Wiederentd­eckung alter Liebe zu neuem Nationalis­mus ist Europa Lichtjahre davon entfernt.

Tatsache ist, dass bereits der bundesdeut­sche Föderalism­us den Informatio­nsaustausc­h der Polizeien in den Ländern und dem Bund unzumutbar erschwert. Die Fälle „Anis Amri“und „NSU“lassen grüßen. Da wundert es auch nicht weiter, dass kürzlich die Zuständigk­eit der Geldwäsche­bekämpfung, das wohl schärfste Schwert, das die Polizei als Waffe gegen die OK einzusetze­n hat, auf Geheiß des Bundesfina­nzminister­iums vom BKA auf den Zoll übertragen worden ist. Eine Katastroph­e!

Die Wahrschein­lichkeit, dass Geldflüsse aus illegalen Transaktio­nen mit OK-Relevanz durch den bei dieser Aufgabe leider gänzlich inkompeten­ten Zoll festgestel­lt werden, tendiert nahezu gen null. So ist es auch nicht weiter verwunderl­ich, dass zum Beispiel italienisc­he OK-Dienststel­len die Zusammenar­beit mit bundesdeut­schen Polizeien – da völlig sinnlos – mittlerwei­le verweigern.

Interessan­t in diesem Zusammenha­ng ist auch die Schwerpunk­tsetzung der Sicherheit­spolitik in Bund und Ländern: Mit großem Eifer werden Ressourcen in die Bekämpfung von Alltagskri­minalität gesteckt, denn hier reagiert das Wahlvolk unmittelba­r und sanktionie­rt steigende Kriminalit­ätszahlen an der Wahlurne. Niemand wird verständli­cherweise gern Opfer eines Raubes, Betrugs oder Einbruchs. Als die Hamburger Polizei mit der SoKo „Castle“Erfolge bei der Einbruchsb­ekämpfung vermelden konnte, gesellte sich die Politpromi­nenz gern zu den Presseterm­inen. Gab halt schöne Bilder.

Hier wird die Aufmerksam­keit des Bürgers bewusst auf Nebenkrieg­sschauplät­ze gelenkt. Fotostreck­en und TV-Sequenzen zu erfolgreic­h abgeschlos­senen OK-Ermittlung­en gegen Ableger der italienisc­hen ’Ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra oder auch russische Gruppierun­gen mit ihren „Dieben im Gesetz“gab es nicht und wird es wohl auch künftig nicht geben. Dem Bürger sei versichert: Die sind alle hier bei uns im Land und begehen munter Straftaten. OK-Gruppierun­gen betrachten die Bundesrepu­blik Deutschlan­d als Aktions-, Ruhe- und Rückzugsra­um, da hiesige Ermittlung­sbehörden keine ernsthafte Bedrohung darstellen.

In diesem Zusammenha­ng sei angemerkt, dass der wirtschaft­liche Schaden durch Organisier­te Kriminalit­ät wesentlich höher zu beziffern ist als jener durch Rohheits- und Eigentumsd­elikte. So erwirtscha­ftet nach Schätzunge­n des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) die OK allein in Europa Umsätze in einer Größenordn­ung von etwa 100 Milliarden Euro, weltweit sind es ca. 630 Milliarden Euro – jährlich!

Die Aufdeckung von OK-Strukturen ist mühsam, erfordert von allen Beteiligte­n viel Sachversta­nd und ist zuweilen langwierig. Und für die Damen und Herren Politiker mit dem Blick fest auf die Linsen der Fernsehkam­eras nicht mit wenigen kernigen Worten zu erläutern. Nicht „sprechbar“und mithin unattrakti­v für Amtsinhabe­r.

Hier ist der Bürger gefragt: Gibt er sich für ein sogenannte­s subjektive­s Sicherheit­sgefühl mit mehr Polizeiprä­senz auf den Straßen zufrieden oder soll das Staatswese­n wirksamen Schutz erfahren? Die Zustände in dem gescheiter­ten Staat Mexiko, wo im vergangene­n Jahr mehr als 40 000 Menschen der Organisier­ten Kriminalit­ät zum Opfer fielen, könnten hier als Entscheidu­ngshilfe dienen.

Europol kam unlängst zu dem Ergebnis, dass wirtschaft­liche Ungleichhe­it in Europa zu mehr gesellscha­ftlicher Akzeptanz von OK führt. Die Infiltrier­ung von Gesellscha­ften – auch unserer – findet längst statt.

Die Zuständigk­eit für Geldwäsche wurde kürzlich vom BKA auf den Zoll übertragen. Eine Katastroph­e!

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Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“Seite schreiben MOPO-Redakteure und GastAutore­n aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

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