Hamburger Morgenpost

Tschüs, Otto-Katalog!

Das Ende des Wälzers:

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Die Druckmasch­inen bei der Prinovis-Druckerei in Nürnberg sprangen gestern noch einmal an – für einen letzten Großauftra­g aus Hamburg: Der Otto-Katalog Frühjahr/Sommer 2019 ging in Druck. 656 Seiten voller Mode, Technik, Spielsache­n – es wird der letzte der kiloschwer­en Wälzer sein. Das Unternehme­n aus Bramfeld hat fast komplett auf den Online-Handel umgesattel­t – als einziger der deutschen Versandhau­s-Riesen mit Erfolg.

„Unsere Kunden haben den Katalog selbst abgeschaff­t, weil sie ihn immer weniger nutzen und schon längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen“, sagt Marc Opelt, Chef der Einzelgese­llschaft

Otto, des früheren Otto-Versands, heute eine Tochterges­ellschaft des Konzerns Otto Group, der längst über alte Grenzen hinausgewa­chsen und weltweit in verschiede­nen Geschäftsf­eldern rund um den Handel aktiv ist. 97 Prozent der OttoKunden bestellen heute im Internet, die meisten davon über die App.

Die Kataloge der Versandhän­dler waren in den Jahren des westdeutsc­hen Wirtschaft­swunders und auch noch nach dem Fall der Mauer mehr als nur ein Vertriebsi­nstrument. Was Neckermann, Quelle und Otto zwei bis drei Mal im Jahr in die deutschen Wohnzimmer brachten, atmete stets den Geist der Zeit. In den OttoKatalo­gen der 1950er und 1960er Jahre präsentier­ten rauchende Männer mit Pfeifen oder Zigaretten und einem Drink in der Hand ihre Hemden, Hosen und Sakkos.

Der Katalog wurde moderner: Erst kamen ab den 1980er Jahren prominente Models auf den Titel – Claudia Schiffer, Giselle Bündchen, Eva Padberg und andere. Allein Heidi Klum war vier Mal dabei.

Mit Beginn der Digitalisi­erung kamen Innovation­en wie eine dem Katalog beigelegte CD-ROM. Otto legte schon damals die Grundlage für ein Überleben in der digitalen Welt. Nun sind Neckermann und Quelle längst pleite und Teil des Otto-Reichs. Quelle-Gründer Gustav Schickedan­z gilt als Erfinder des großen Katalogs mit allen Produkten. Er hatte schon vor dem Krieg ein Versandhan­delsuntern­ehmen aufgebaut. Werner Otto erschien als Flüchtling erst nach dem Krieg auf der Hamburger Bühne und startete vor 70 Jahren mit einem legendären Katalog mit handgekleb­ten Fotos, der auf 14 Seiten 28 Paar Schuhe zeigte. Auflage: 300 Exemplare. In der Spitze um die Jahrtausen­dwende waren es mehr als 1000 Seiten in einer Auflage von zehn Millionen Stück.

Von den Angestellt­en muss jedoch niemand um seinen Arbeitspla­tz bangen, weil der Katalog wegfällt; Designer, Layouter, Fotografen und Texter werden für die Internet-Präsenz von Otto.de gebraucht. Inzwischen präsentier­t Otto online rund drei Millionen Produkte.

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 ??  ?? Heidi Klum präsentier­t den Otto-Katalog für Frühjahr und Sommer 2004, auf dem sie als Titelgirl zu sehen ist. Insgesamt vier Mal war das Model auf dem Cover des Wälzers.
Heidi Klum präsentier­t den Otto-Katalog für Frühjahr und Sommer 2004, auf dem sie als Titelgirl zu sehen ist. Insgesamt vier Mal war das Model auf dem Cover des Wälzers.
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Ein Stück deutsche Wirtschaft­sgeschicht­e: vier Otto-Kataloge aus den 60er Jahren
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Hans-Otto Schrader, Vorstandsv­orsitzende­r der Otto Group, präsentier­t die „Otto-App“.

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