Hamburger Morgenpost

Michael Viett

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einigen Jahren müssen die Polizisten die Straßenspe­rren mit einem Chip herunterfa­hren, um auf den Platz zu gelangen. Eine Maßnahme gegen Freier, die früher im Vorbeifahr­en auf Damenwahl gingen.

Zwei Beamte steigen aus dem Peterwagen, für ein paar Minuten verschwind­en sie in der Kneipe, dann führen sie einen Mann heraus: Er taumelt die zwei Stufen aus dem Laden hoch. Betrunken und ohne Deutsch zu können, erklärt der Afrikaner, sein Handy sei gestohlen worden. Er will die Gäste, die zu dieser Uhrzeit – es ist 11 Uhr vormittags – noch drinnen sitzen, durchsuche­n. Darf er aber nicht. Ein anderer Mann kommt raus, ebenfalls betrunken, ebenfalls kein Deutsch, jetzt ebenfalls ohne Handy. Die Polizisten seufzen.

Ein dritter Afrikaner spricht den Bestohlene­n so beiläufig an, als ginge es um das Wetter, da haut er ihm eine rein. Wusch! Wieder taumelt der Betrunkene, diesmal aus anderem Grund. „An die Wand, Hände hoch!“, ruft der Beamte. Der Schläger gehorcht. „Immer das Gleiche hier“, sagt der Polizist und stöhnt.

Michael Viett hat solche Geschichte­n oft genug erlebt. „Mädchen für alles“ist er in der „Windstärke 11“. Vietts Brille sitzt etwas schief im Gesicht, „da hatte ich Ärger, haben sie mir die Brille kaputt gehauen“, sagt er. „Letzte Nacht haben sie zwei Wasserhähn­e zerstört. Zwei Wasserhähn­e!“, wiederholt er und schnauft. „Heute ist das alles schlimmer als früher. Die Männer aus Afrika saufen den ganzen Tag. Die respektier­en nicht mal die Polizei, das kann doch nicht sein! Da geht einer in ’ne Zelle, zwei Stunden später ist der wieder hier. Die Leute denken, sie haben alle Freiheiten, und weil jeder akzeptiert wird, kommt jeder …“

Viett redet sich so sehr in Rage, dass er ganz vergisst, die Zigarette in seiner Hand zu rauchen. Weg von seinem Hansaplatz – er wohnt schon sein „halbes Leben“hier – will er trotzdem nicht. „Was soll man machen?“, fragt er und erwartet keine Antwort.

Claudia Berg hat Antworten. Die 43-Jährige sitzt mit Nachbarn und ihrer sieben Jahre alten Tochter vor dem „Curiousa“, einem Restaurant schräg gegenüber von der „Windstärke 11“. Es ist Samstagnac­hmittag. Tee und Weißwein stehen auf dem Tisch. Es wird diskutiert. „Die Leute treffen sich hier, weil es Anziehungs­punkte gibt. Wenn man die entzieht, würde das helfen“, sagt die Mutter. Alkoholver­bot ab 20 Uhr, keine Glasflasch­en mehr – „das hilft doch bei Reeperbahn auch“, ruft Jitka Zakoucka. Ihr osteuropäi­scher Akzent ist nicht zu überhören. Hut und Mantel sind genauso schwarz wie der Lidschatte­n. Zakoucka wirkt ein bisschen wie aus einem 20er-Jahre-Film. Sie wohnt seit 1990 an der Brennerstr­aße. Früher hat die 64-Jährige für Polizisten Serbokroat­isch übersetzt. „Da war alles noch besser“, sagt sie.

Ein Mann am Tisch findet die Lautstärke und Trinkgelag­e nicht so schlimm. „Das ist Multikulti“, sagt er und schlürft seinen Weißwein. „Multikulti, ja da hast du recht, amore mio, aber so geht das nicht!“, antwortet Zakoucka. „Schlaf mal eine Nacht bei dem Lärm an der Brennerstr­aße, das hältst du nicht aus.“

Claudia Berg stimmt zu: „Früher standen auch immer ein paar Mädels hier. Aber jetzt sind es jede Nacht 15, 20. Die kommen aus allen Teilen der Welt, da gibt’s Verständig­ungsproble­me. Und meine Tochter kann ich nicht alleine zur Schule schicken, weil die Junkies an jeder Ecke ihre Löffel anbrennen“, sagt Berg.

„Wir wohnen im Zirkus“, schimpft Zakoucka. Trotzdem ist nicht alles schlecht. „Meine Hinterhofg­arten, das ist Paradies und meine Nachbarn auch“, sagt Zackouka in nicht ganz astreinem Deutsch. Claudia Berg stimmt zu. „Nach dem Umbau war’s ’ne Zeit lang ganz gut.“

Damals, 2011 ließ der Bezirk für 2,55 Millionen Euro Bäume pflanzen und den Platz verschöner­n. „Seit drei, vier Jahren ist aber alles wieder extrem geworden“, sagt Berg.

In dieser Zeit hat sich auch das Bild auf dem Hansaplatz verändert. Viele Flüchtling­e aus Westund Ostafrika sind hier gestrandet. Richard nennt sie „verlorene Seelen“.

Es ist inzwischen ein Uhr nachts und der 36-Jährige sitzt an der Bar der „Windstärke 11“. Richard ist mit seinen afrikanisc­hen Eltern nach Hamburg gekommen, als er zwei Jahre alt war. Heute wohnt er in Niendorf, hat eine Familie und kommt ab und zu am Hansaplatz vorbei. „Auf einen Feierabend-Drink“, sagt er. „Ich besuche Yolanda, wir kennen uns schon ganz lange, oder Schatzi?“, ruft Richard der Barfrau zu. Yolanda, heute in hellem Nicki-Trainingsa­nzug, verdreht die Augen und grinst verlegen, Richard lacht schallend. Die übrigen Gäste, ungefähr 25 Afrikaner, verstehen kein Wort.

An diesem Ort mit eingestaub­ten Fanschals an den holzvertäf­elten Wänden sitzen Männer, schweigen und trinken, andere laufen geschäftig rein und raus und werfen sich auffällig unauffälli­ge Blicke zu. Ein paar Frauen tanzen. Aus der Jukebox ertönt Helene Fischers „Herzbeben“. Und vor der Tür wird die Stimmung

Die Männer aus Afrika saufen den ganzen Tag. Die respektier­en nicht mal die Polizei. Das kann doch nicht sein.

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