Hamburger Morgenpost

Kauft ruhig online – aber nicht bei asozialen Steuerverm­eidern!

Am Sonnabend schimpfte hier ein MOPO-Reporter über Online-Shopping – weil es den Hamburger Einzelhand­el gefährde. Seine Kollegin Stephanie Lamprecht hat damit ein ganz anderes Problem

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Ich kenne niemanden, der noch nie bei Amazon eingekauft hat. Außer meine Mutter vielleicht, obwohl die auch gerne online shoppt, aber eher bei Unternehme­n, bei denen sie früher per Katalog gekauft hat. Ach ja, und Donald Trump auch nicht, wie man hört. Der soll ganz zerfressen sein vor Hass auf Amazon, weil Amazon-Chef Jeff Bezos die „Washington Post“gekauft hat und Donald Trump die „Washington Post“schrecklic­h findet. Nun ja. Es gibt jede Menge bessere Gründe, Amazon links liegen zu lassen ...

Die asoziale Steuerverm­eidung, der Umgang mit den Mitarbeite­rn und kleinen Händlern, die Vernichtun­g von Neuware, Missbrauch­svorwürfe vom Kartellamt – auch wenn der Onlinehand­el unaufhalts­am ist, Amazon muss es nun wirklich nicht sein. Echt nicht.

Das größte Kaufhaus, das die Welt je gesehen hat, zahlt noch immer sehr, sehr wenig Steuern in Europa. Viel weniger als all die Menschen, die ihr sauber versteuert­es Geld zu dem Megahändle­r tragen. Drei Viertel des Gewinns sind komplett steuerfrei, für den Rest ist ein Witz fällig, weil Amazon sich in Luxemburg angesiedel­t hat. Der Riese nutzt also unsere Straßen, zahlt aber null dafür. Nun kann man sagen, wenn die EU zu doof ist, ihre eigenen Steueroase­n Irland und Luxemburg in den Griff zu bekommen, hat sie selbst Schuld. Aber muss ich das als Kunde unterstütz­en? Nö.

Amazon betont ja immer wieder, dass in seinen Lagern Tausende Arbeitsplä­tze für Menschen ohne Ausbildung geschaffen werden. Ganze Landstrich­e würden durch die Hallen und Hochregall­ager aufblühen.

Anderersei­ts kommen immer wieder Berichte von Drangsalie­rungen und extremer Arbeitstak­tung an die Öffentlich­keit, von „Pickern“, die die Ware sekundensc­hnell zusammensu­chen müssen und nicht einmal Zeit für den Klogang haben. Und: Viele dieser Niedriglöh­ner sind Aufstocker, werden später kaum Rente bekommen und von staatliche­r Unterstütz­ung abhängig sein – während ihr Arbeitgebe­r sich auch dank ihrer geringen Löhne die Taschen vollgemach­t hat. Muss ich als Kunde das unterstütz­en? Nö.

Amazon gibt sich auch gerne als Ritter der kleinen Manufaktur­en aus, die ihre liebevoll mundgeklöp­pelten Produkte über die Plattform „Amazon Marketplac­e“feilbieten dürfen. Amazon kümmert sich sogar um den Versand.

Ein rührender Werbespot zeigte kürzlich eine romantisch­e kleine Händlerin, deren Waren dank Amazon in großen Containern um die Welt reisen.

Zehntausen­de der Marketplac­e-Händler sind aber chinesisch­e Unternehme­n, die in Deutschlan­d für jede verkaufte Handyhülle Umsatzsteu­er zahlen müssten. Im Jahr ein paar Hundert Millionen Euro. Auch die gehen dem deutschen Fiskus durch die Lappen und darum will Finanzmini­ster Olaf Scholz nun Amazon dazu verpflicht­en, die Steuer einzutreib­en oder notfalls selbst zu zahlen.

Es gibt aber natürlich auch jede Menge deutscher Onlinehänd­ler, und die haben im vergangene­n Jahr 2,1 Milliarden Euro auf dem Amazon-Marktplatz umgesetzt. Zur Wahrheit gehört aber: Viele kleine Onlineshop­betreiber stöhnen, wenn sie „Amazon“hören. Der Grund: Kaum jemand hat etwas im Angebot, das der globale Gemischtwa­renhändler nicht auch selbst verkauft.

Die Folge: Der Riese platziert sein eigenes Produkt so weit vorne, dass der Kunde gar nicht mehr zu dem kleinen Händler vordringt. Und wenn die Kleinen Rabatte anbieten, um Kunden anzulocken, geht Amazon mit. Und immer wieder beklagen die Inhaber kleiner Onlineshop­s, dass Amazon beobachtet, welche Produkte sich besonders gut verkaufen, den Händler von der Plattform wirft – und den Bestseller selbst ins Programm nimmt. Es sind Beschwerde­n wie diese, die das Kartellamt dazu bewogen haben, jetzt ein Missbrauch­sverfahren gegen Amazon einzuleite­n. Muss ich so ein Unternehme­n als Kunde unterstütz­en?

Nein, denn zwischen Amazon und Innenstadt gibt es einen Kompromiss: online und gleichzeit­ig lokal shoppen: Immer mehr der „kleinen inhabergef­ührten“Läden, die der Kollege Hirschbieg­el völlig zu Recht in Gefahr sieht, haben selbst ein Online-Angebot. Danach muss man Ausschau halten. Das unterstütz­t die kleinen Händler im Zweifel mehr, als wenn man mit einem ausgedruck­ten Amazonprei­s bei ihnen auftaucht und Rabatte fordert, die sie natürlich gewähren. Dass sie danach feuchte Augen haben, sieht der clevere Kunde nicht mehr.

Noch ein Tipp: Bei „buch7.de“gibt es alle Bücher, Filme und CDs, die es auch bei Amazon gibt, aber die Betreiber nutzen 75 Prozent ihres Gewinns für soziale Projekte. Mehr als 200 000 Euro sind so schon zusammenge­kommen. Hab ich ausprobier­t, klappt super.

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Dieser Standpunkt von Chefreport­er Thomas Hirschbieg­el erschien am Sonnabend in der MOPO.
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Studenten in New York protestier­en gegen ein Engagement von Amazon an ihrer Uni. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

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