Hamburger Morgenpost

Drei Mal stach ihr Ex-Freund auf sie ein. In der MOPO schildert Vanessa (26) die blutige Nacht – und ihre Angst vor dem Tag, an dem der Täter freikommt

GEWALT GEGEN FRAUEN Vanessa K. wurde von ihrem ehemaligen Partner in der Wohnung übefallen. Das Urteil gegen ihn findet sie zu milde

- STEPHANIE LAMPRECHT s.lamprecht@mopo.de

Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschlan­d, seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringe­n. So steht es in der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik. Hinter jedem Fall steht das Schicksal einer Frau, der ausgerechn­et der Mensch zum Verhängnis wird, den sie einmal geliebt hat. Eine von ihnen: Vanessa K. (26, Name geändert), die von ihrem Ex-Freund mit einem Messer angegriffe­n wurde – in ihrer eigenen Wohnung in Bramfeld. In der MOPO erzählt sie, was ihr angetan wurde und wieso sie das Urteil gegen ihren Ex für zu milde hält.

Vanessa K. sitzt in ihrem Wohnzimmer, jenem Raum, in dem sie am Morgen des 22. Juli 2018 plötzlich ihrem Ex gegenübers­tand. „Ich war gerade wach geworden“, erzählt die junge Frau mit den violetten Haaren und den hellen Augen, „ich kam aus dem Schlafzimm­er, wollte zu meinem Handy, da stand er mitten im Zimmer, nackt, mit einem Messer in der Hand und sagte: ,Suchst du dein Handy?‘“

Wie er in die Wohnung gekommen ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht hat er sich einen Schlüssel nachmachen lassen, vielleicht kam er durch das Fenster, das nicht richtig schloss. In jedem Fall: Er kam, während sie schlief – ein Albtraum.

Vanessa stürzte panisch Richtung Wohnungstü­r: „Aber die hatte ich abends aus Angst extra abgeschlos­sen.“Bevor sie die Tür öffnen konnte, war Pouria A.

(25) bei ihr, stach drei Mal zu, traf sie an Hüfte, Bauch, Rippen: „Dann stieß er mich zu Boden, würgte mich.“Wie lange das folgende Geschehen sich hinzog, ist unklar, Vanessa kommt es vor wie Stunden: „Er schrie, dass ich einen neuen Typen habe, dann stach er sich selbst ins Bein, verlangte, dass ich ihn töten sollte.“Die junge Frau redete um ihr Leben: „Er forderte von mir, ich solle ihn heiraten und wir sollten Kinder bekommen, ich habe ihm alles versproche­n.“In Todesangst drückte sie sich ein Geschirrtu­ch auf die Schnittwun­den, sagte alles, was ihr ebenfalls blutender Angreifer hören wollte – und ist in Gedanken die ganze Zeit bei den wichtigste­n Menschen in ihrem Leben: „Meine kleine Tochter hatte bei meiner Mutter übernachte­t. Ich dachte, ich sehe die beiden nie wieder.“

Über ihre Mutter hatte die junge Mitarbeite­rin eines Call-Centers ihren Ex Mitte 2016 kennengele­rnt. Der gebürtige Iraner wohnte in dem selben Mehrfamili­enhaus wie ihre Mutter. Er hatte Vanessa auf der Straße angesproch­en.

Liebe auf den ersten Blick war es bei ihr nicht, aber die Zuneigung wuchs, besonders als Vanessa sah, wie liebevoll der junge Mann mit ihrer kleinen Tochter umging: „Sie nannte ihn schnell Papa.“

Es war ihre Mutter, die das Unheil nahen sah: „Die beiden waren wie zwei Chemikalie­n“, sagt Beatrice U. (50) zur MOPO, „für sich genommen harmlos, aber in der Mischung hochexplos­iv.“

Dass der Freund ihrer Tochter ein Asylbewerb­er war, sei nicht das Problem gewesen, das ist der Schweizeri­n wichtig, klarzustel­len: „Ich habe meine Kinder so erzogen, dass niemand etwas dafür kann, wo er geboren wurde. Mensch ist Mensch.“

Es kommt immer öfter zum Streit, auch zu Gewalt. Pouria A. schlägt mit der Faust Löcher in Türen. Als Vanessa nach ein paar Tagen Urlaub nach Hause kommt, hat er die halben Tapeten von den Wänden gerissen.

Die junge Mutter trennt sich: „Ich habe gemerkt, die Beziehung ist nicht gesund für mich. Das war keine Liebe. Er war total fixiert auf mich.“

Aber Pouria A. lässt nicht locker: „Er lauerte mir vor dem Haus auf, im Keller fand ich ein Lager, er schlief dort. Ich fand auch Marihuana und einen Benzinkani­ster.“Am Tag vor der Messeratta­cke, sagt Vanessa, sei sie bei der Polizei gewesen: „Die sagten, ich solle das mit ihm klären.“

Auch während des Angriffs steht Pouria A. unter Drogen, hat Kokain und 1,4 Promille Alkohol im Blut. Das Amtsgerich­t Barmbek wird das später als strafmilde­rnd ansehen, ebenso vermindert­e Schuldfähi­gkeit wegen einer psychische­n Erkrankung annehmen.

An jenem schrecklic­hen Vormittag bietet Pouria A. schließlic­h an, einen Rettungswa­gen zu rufen, unter einer Bedingung: „Ich sollte der Polizei sagen, dass meine Verletzung­en von einem Überfall stammen.“Aus Angst log Vanessa die ersten Beamten, die in die Wohnung kamen, tatsächlic­h an.

Dass er Hilfe gerufen hat, unbestraft war und sich im Prozess reuig zeigte, wird das Gericht alles als strafmilde­rnd werten. Am Ende wird Pouria A. wegen gefährlich­er Körperverl­etzung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Verletzung­en seien zwar gravierend, so das Gericht, aber die Misshandlu­ngen seien „nicht aus übersteige­rtem Besitzdenk­en“erfolgt.

Für Vanessa und ihre Mutter ist die Milde unverständ­lich: „Schon die Anklage hätte auf versuchten Totschlag lauten müssen.“Beide wollen das Urteil anfechten, suchen einen Anwalt. Vanessa: „Ich habe Angst, dass er nach seiner Haftentlas­sung vor der Tür steht.“Umziehen will sie nicht: „Ich habe lange eine Wohnung gesucht. Das hier ist das Zuhause für meine Kleine und mich.“

Ich merkte, dass die Beziehung nicht gesund war. Das war keine Liebe, er war fixiert auf mich. Vanessa K.

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Vanessa K. (26, Name geändert) in ihrer Bramfelder Wohnung, in der ihr Ex sie attackiert­e
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Pouria A. bei seiner Festnahme in Bramfeld Oitte Juli

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