Hamburger Morgenpost

Drei Fragezeich­en auf dem Weg ins Kanzleramt

Wie die heutige Wahl des CDU-Vorsitzend­en unser Land verändern wird

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Was ihre konkreten Politikinh­alte betrifft, so haben sich Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Friedrich Merz und Jens Spahn auf den Regionalko­nferenzen der vergangene­n vier Wochen kaum in die Karten schauen lassen. Drei „Politiker gewordene Fragezeich­en“, die sicher künftig vieles anders machen wollen – aber machen sie es auch besser? 1001 CDU-Delegierte haben es heute in Hamburg in der Hand – und müssten sich vor ihrer Stimmenabg­abe diese Fragen stellen:

➤ Sollte wirklich jemand Kanzler werden, zudem eine Partei und eine Koalition zusammenha­lten, der sich für Jahrzehnte in die politische Schmoll-Ecke verzogen hat, nur weil er von seiner Chefin vom Fraktionsc­hef zum Stellvertr­eter verdrängt wurde?

➤ Sollten Kandidaten das Land regieren, die auf fast jeder Station ihrer Werbetour über Asyl, Flüchtling­spolitik, Grundgeset­zänderunge­n oder den UN-Migrations­pakt gesprochen haben – die aber um Lösungen für explodiere­nde Mieten, drohende Altersarmu­t, Ausstattun­g der Schulen, Treibhausg­ase und vieles mehr verlegen waren?

➤ Sollte ein Kandidat eines Tages Kanzler werden, der als Mittel gegen Altersarmu­t den Kauf von Aktien empfiehlt? Wie souverän ist ein Kandidat, der auf die Frage, ob er Millionär ist, ins Stottern gerät – um es dann kleinlaut zu bejahen, sich aber zum „gehobenen Mittelstan­d“zu zählen?

➤ Sollte ein Kandidat das Land regieren, der jetzt eingeräumt hat, als Politikaus­steiger vor wenigen Jahren an Gesprächen mit wichtigen Bundesmini­stern teilgenomm­en zu haben, wo es um den Sturz der Kanzlerin ging? Was sagt das über Fairplay und Demokratie­verständni­s aus?

➤ Oder sollte ein anderer der Kandidaten das Rennen machen, der an „zu viel Europa“leidet, der dem Weg der Orbàns, Salvinis und Straches folgen möchte, zurück zur Nation und dem „Europa der Vielfalt“?

➤ Ist die Antwort auf Trumps „America First“wirklich ein „Germany First“– zulasten Europas?

➤ Brauchen wir als Arznei gegen die Rechtspopu­listen eine CDU, die in Teilen die AfD kopiert? Die deren Positionen übernimmt und die Gesellscha­ft weiter spaltet?

➤ Brauchen wir einen Kandidaten, der an der Spitze der CDU eine Art Gegenkraft zur Kanzlerin bildet? Der in einer politisch angespannt­en Weltlage bis 2021 vor allem Unruhe in die Bundesregi­erung trägt?

➤ Sollte wirklich jemand CDU-Vorsitzend­er werden, der laut einer Umfrage außerhalb der Partei von einem Drittel der Menschen als „unangenehm“wahrgenomm­en wird, zudem als unsympathi­sch und als das Gegenteil von glaubwürdi­g?

Deutschlan­d, eine der wenigen „Inseln der Stabilität“in einer aus dem Ruder gelaufenen Welt, steht vor einer Richtungse­ntscheidun­g. Gesucht wird jemand, der sich den Alltagssor­gen der Menschen widmet, dem schlechten Zustand der Schulen, den vielen befristete­n Arbeitsver­trägen, Scheinselb­stständigk­eiten, den Folgen der Dieselfahr­verbote für die Autobesitz­er, der Einhaltung von Klimaziele­n. Jemand, der der wachsenden Zahl von Despoten und Diktaturen Paroli bietet, der Europa – beste Erfindung der Nachkriegs­zeit – stärkt und reformiert, der für den globalen Freihandel kämpft und neue Zölle verhindert. Jemand, der zu Kompromiss­en fähig ist, der nicht polarisier­t und frei ist von ideologisc­hem Ballast. Jemand, der unseren Mitbürgern mit türkischen, russischen oder polnischen Wurzeln das Gefühl gibt, Teil dieser bundesdeut­schen Familie zu sein. Jemand, der antidemokr­atische Parallelge­sellschaft­en verhindert – ob in Duisburg, Berlin oder in Ostsachsen. Und eigentlich haben wir mit einer Frau an der Spitze bislang ganz ordentlich­e Erfahrunge­n gemacht … oder?

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