Hamburger Morgenpost

Dieser Taktstock ist der Gipfel an Taktlosigk­eit

Angela Merkel ist als CDU-Chefin Geschichte. Doch neben lobenden Worten gab’s ein Abschiedsg­eschenk, das ausgerechn­et an einen Tiefpunkt ihrer Karriere erinnert

- MIKE SCHLINK mike.schlink@mopo.de

Nein, ein normaler Freitag war das in Hamburg sicher nicht. Wie auch? Immerhin traf sich gestern die geballte CDU-Kompetenz in den Messehalle­n, um eine neue Parteiführ­ung zu wählen. Mehr als 1000 Delegierte, ebenso viele Journalist­en und zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland sorgten in der Elbmetropo­le für jede Menge Wirbel. Die größte Aufregung aber gab es über ein eigentlich unscheinba­res Abschiedsg­eschenk.

Zum Dank für 18 Jahre Parteivors­itz erhielt Angela Merkel von den CDU-Granden einen gerahmten Taktstock. Prinzipiel­l keine schlechte Idee, schließlic­h war sie für ihre Partei all die Jahre eine Art Dirigentin. Ein schönes Geschenk also – wäre da nicht ein sehr bitterer Beigeschma­ck: Den Taktstock schwang schließlic­h Star-Dirigent Kent Nagano, als er im Rahmen des G20-Gipfels die Mächtigen dieser Welt in der Elbphilhar­monie mit Beethovens Neunter verzaubert­e. Während Hamburgs Straßen im Chaos versanken, wohlgemerk­t.

Als echte Hanseatin nahm Merkel das Geschenk zwar lächelnd an, aufmerksam­e Beobachter erkannten aber, dass sie durchaus ein wenig irritiert war. Klar ist: Mit dem kulinarisc­hen PräsentKor­b von Ernährungs­ministerin Julia Klöckner konnte sie mehr anfangen. Jedenfalls war ihr Lächeln dort breiter

Sei’s drum – ihren Abschiedst­ag wird die gebürtige Hamburgeri­n so oder so nicht vergessen. Und einige Hamburger sicher auch nicht. Zum täglichen Berufsverk­ehr gesellte sich in der City eine Armada Limousinen und Taxis. Im Sekundenta­kt luden Fahrer Politiker vorm Michel ab – bei einem ökumenisch­en Gottesdien­st erhofften sich die Christdemo­kraten offensicht­lich Beistand von ganz oben. Warum auch nicht? Immerhin stellt sich die CDU an diesem Wochenende für die Zukunft neu auf.

Ein Umstand, den auch ein Dutzend Demonstran­ten nutzen wollten, um mit einer kleinen Protestakt­ion vor der Kirche für Abrüstung und Kohleausst­ieg zu werben – und dabei zum Teil über die Stränge schlugen. „Ich bin Umweltakti­vistin!“, schrie Haike S. Die Frau wollte sich in die Kirche schleichen, wurde jedoch von Ordnern gestoppt, von der Polizei abgeführt.

Gehör fand sie dennoch – weil Erzbischof Stefan Heße in seiner Predigt die Politiker zu mehr Aufmerksam­keit mahnte. „Hören Sie auf die Kleinen, auf die Schwachen“, sagte er. Worte, die sich mehrere Politiker wenig später bereits zu Herzen nahmen. Zumindest blieben einige vor den Messehalle­n stehen, um dort einem größeren Protest zu lauschen. Mehr als 100 Menschen demonstrie­rten für den Erhalt eines Industrieg­ebietes in der Lausitz, aber auch für eine gerechtere Rente.

Und drinnen? Da demons- trierten die Christdemo­kraten, wie man einen Parteitag veranstalt­et. Wo im vergangene­n Jahr der G20-Gipfel stattfand, wurden jetzt Infostände von Verbänden und Unternehme­n wie VW, Telekom und Microsoft aufgebaut. Als Verpflegun­g gab’s Kartoffels­uppe mit Wursteinla­ge, Kuchen und bayrische Lebkuchen-Herzen. Ein wenig CSU-Charme, auch bei der CDU.

Aber auch ein wenig Prominenz! Ex-Boxweltmei­ster Vitali Klitschko schaute als ukrainisch­er Politiker genauso vorbei wie HSV-Investor Klaus-Michael Kühne.

Apropos: Der Hamburger Sportverei­n war an diesem Tag offensicht­lich groß in Mode. Hamburgs Landeschef Roland Heintze zitierte in seiner Merkel-Lobeshymne Rothosen-Legende Uwe Seeler: „Hamburger geben nie auf. Und Sie haben auch in schwierige­n Zeiten nie aufgegeben. Das verdient Respekt.“

Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier erlaubte sich auf HSVKosten sogar einen Scherz, sagte: „In 18 Jahren hat der HSV 24 Trainer verbraucht.“Schon das zeige, wie außergewöh­nlich die Leistung ist, die CDU Deutschlan­ds 18 Jahre zu führen.

Künftig übernimmt diese Rolle die bisherige Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. In insgesamt zwei Wahlgängen setzte sie sich gegen ihre Konkurrent­en Friedrich Merz und Jens Spahn durch.

Zuvor dürfte sie mit ihrer emotionale­n Rede gepunktet haben – besonders bei den Hamburgern. Neben vielen anderen Themen griff sie auch den Linksextre­mismus auf. Man bräuchte eine „klare Kante gegen Chaoten wie bei G20 in Hamburg“, sagte sie. Und plötzlich macht Merkels Taktstock doch wieder Sinn.

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Demütig neigt Angela Merkel ihr Haupt. Bei ihrem Abschied war sie sichtlich gerührt.
 ??  ?? Bayrische Lebkuchen-Herzen von Hamburgs CDU gehörten zur Verpflegun­g in den Messehalle­n.
Bayrische Lebkuchen-Herzen von Hamburgs CDU gehörten zur Verpflegun­g in den Messehalle­n.
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