Dieser Taktstock ist der Gipfel an Taktlosigkeit
Angela Merkel ist als CDU-Chefin Geschichte. Doch neben lobenden Worten gab’s ein Abschiedsgeschenk, das ausgerechnet an einen Tiefpunkt ihrer Karriere erinnert
Nein, ein normaler Freitag war das in Hamburg sicher nicht. Wie auch? Immerhin traf sich gestern die geballte CDU-Kompetenz in den Messehallen, um eine neue Parteiführung zu wählen. Mehr als 1000 Delegierte, ebenso viele Journalisten und zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland sorgten in der Elbmetropole für jede Menge Wirbel. Die größte Aufregung aber gab es über ein eigentlich unscheinbares Abschiedsgeschenk.
Zum Dank für 18 Jahre Parteivorsitz erhielt Angela Merkel von den CDU-Granden einen gerahmten Taktstock. Prinzipiell keine schlechte Idee, schließlich war sie für ihre Partei all die Jahre eine Art Dirigentin. Ein schönes Geschenk also – wäre da nicht ein sehr bitterer Beigeschmack: Den Taktstock schwang schließlich Star-Dirigent Kent Nagano, als er im Rahmen des G20-Gipfels die Mächtigen dieser Welt in der Elbphilharmonie mit Beethovens Neunter verzauberte. Während Hamburgs Straßen im Chaos versanken, wohlgemerkt.
Als echte Hanseatin nahm Merkel das Geschenk zwar lächelnd an, aufmerksame Beobachter erkannten aber, dass sie durchaus ein wenig irritiert war. Klar ist: Mit dem kulinarischen PräsentKorb von Ernährungsministerin Julia Klöckner konnte sie mehr anfangen. Jedenfalls war ihr Lächeln dort breiter
Sei’s drum – ihren Abschiedstag wird die gebürtige Hamburgerin so oder so nicht vergessen. Und einige Hamburger sicher auch nicht. Zum täglichen Berufsverkehr gesellte sich in der City eine Armada Limousinen und Taxis. Im Sekundentakt luden Fahrer Politiker vorm Michel ab – bei einem ökumenischen Gottesdienst erhofften sich die Christdemokraten offensichtlich Beistand von ganz oben. Warum auch nicht? Immerhin stellt sich die CDU an diesem Wochenende für die Zukunft neu auf.
Ein Umstand, den auch ein Dutzend Demonstranten nutzen wollten, um mit einer kleinen Protestaktion vor der Kirche für Abrüstung und Kohleausstieg zu werben – und dabei zum Teil über die Stränge schlugen. „Ich bin Umweltaktivistin!“, schrie Haike S. Die Frau wollte sich in die Kirche schleichen, wurde jedoch von Ordnern gestoppt, von der Polizei abgeführt.
Gehör fand sie dennoch – weil Erzbischof Stefan Heße in seiner Predigt die Politiker zu mehr Aufmerksamkeit mahnte. „Hören Sie auf die Kleinen, auf die Schwachen“, sagte er. Worte, die sich mehrere Politiker wenig später bereits zu Herzen nahmen. Zumindest blieben einige vor den Messehallen stehen, um dort einem größeren Protest zu lauschen. Mehr als 100 Menschen demonstrierten für den Erhalt eines Industriegebietes in der Lausitz, aber auch für eine gerechtere Rente.
Und drinnen? Da demons- trierten die Christdemokraten, wie man einen Parteitag veranstaltet. Wo im vergangenen Jahr der G20-Gipfel stattfand, wurden jetzt Infostände von Verbänden und Unternehmen wie VW, Telekom und Microsoft aufgebaut. Als Verpflegung gab’s Kartoffelsuppe mit Wursteinlage, Kuchen und bayrische Lebkuchen-Herzen. Ein wenig CSU-Charme, auch bei der CDU.
Aber auch ein wenig Prominenz! Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko schaute als ukrainischer Politiker genauso vorbei wie HSV-Investor Klaus-Michael Kühne.
Apropos: Der Hamburger Sportverein war an diesem Tag offensichtlich groß in Mode. Hamburgs Landeschef Roland Heintze zitierte in seiner Merkel-Lobeshymne Rothosen-Legende Uwe Seeler: „Hamburger geben nie auf. Und Sie haben auch in schwierigen Zeiten nie aufgegeben. Das verdient Respekt.“
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier erlaubte sich auf HSVKosten sogar einen Scherz, sagte: „In 18 Jahren hat der HSV 24 Trainer verbraucht.“Schon das zeige, wie außergewöhnlich die Leistung ist, die CDU Deutschlands 18 Jahre zu führen.
Künftig übernimmt diese Rolle die bisherige Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. In insgesamt zwei Wahlgängen setzte sie sich gegen ihre Konkurrenten Friedrich Merz und Jens Spahn durch.
Zuvor dürfte sie mit ihrer emotionalen Rede gepunktet haben – besonders bei den Hamburgern. Neben vielen anderen Themen griff sie auch den Linksextremismus auf. Man bräuchte eine „klare Kante gegen Chaoten wie bei G20 in Hamburg“, sagte sie. Und plötzlich macht Merkels Taktstock doch wieder Sinn.