Hamburger Morgenpost

Auf den Straßen von Hamburg

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Jetzt wurde eine kleine Bibliothek eingericht­et und ich eingeladen vorbeizuko­mmen, um aus meinem Buch zu lesen.

Das Personal war nicht sicher, ob alle kommen würden. Zwei von ihnen reden kaum und wären sowieso zu cool für alles. Als ich in den Raum komme, sind alle da.

Ich schaue in die Runde und weiß sofort, wer die zwei sind. Ich lache sie an, reiche jedem die Hand. Sie nehmen meine Geste an.

Ich lese zwei Kapitel aus der

Zeit in ihrem Alter. Sie sind alle ruhig, hören zu. Wir reden über Gewalt in der Kindheit, sexuellen Missbrauch, Drogen. Über Familie, Freundscha­ft und Liebe.

Ich sehe ihnen an, dass es ihnen wehtut. In der Situation, in der die Jungs stecken, macht es keinen Sinn, etwas schönzured­en.

Einer erzählt von seinem Sohn. Mit 16 Jahren ist er Papa geworden. Er will für seinen Sohn da sein, sagt er, und man spürt, wie ernst er das meint. Nie will er werden wie sein Vater. Der schießt sich das Heroin in die Venen. Manchmal sieht er ihn am Bahnhof. Einmal hat er ihn angeschrie­n. Da haben die „Freunde“von seinem Dad ihm aufs Maul gehauen.

Seine Freunde sind irgendwie auch falsch. Die melden sich nur, wenn sie wissen, heute ist das Kindergeld gekommen. „Dann rufen die schon morgens an, wenn ich noch schlafe, und fragen, ob man chillen will.“Das sind diese Sätze, bei denen ich im Raum in jedem Gesicht pure Enttäuschu­ng sehe.

Ich erzähle, was für mich Freundscha­ft ausmacht. Wenn man nur miteinande­r abhängen kann, wenn man Drogen nimmt, sich vollsaufen muss oder krumme Dinger drehen, ist das keine Freundscha­ft. Das ist nur ein falsches Umfeld. Am Ende haben alle mehr Angst vor dem Alleinsein als vor schlechter Gesellscha­ft.

Sie erzählen, wie sie hier reingekomm­en sind. Jeder würde jemandem die Tür aufhalten, einer alten Frau helfen, in Not einschreit­en. Alle nicken. Wir müssen uns fragen, warum wir irgendwann aufhören, gut zu sein. Wo ziehen wir eine Grenze und warum überschrei­ten wir sie dann? Das sind die Dinge, die ich mir beantworte­n musste, damit sich etwas verändert.

Ich sehe keine Kriminelle­n, ich sehe junge Heranwachs­ende, die absolut noch nicht wissen, wer sie sind oder was sie hier sollen. Dafür mussten sie aber schon so viel durchma- chen.

Am meisten spricht der, von dem vorher gesagt wurde, er habe eher eine Anti-Haltung. Er sitzt mir erst gegenüber, später genau neben mir. Er holt tief Luft. Dann kriegt er gerade so den Satz heraus. „Meine Mama ist ... ja ... he ... Junkie. Und mein Vater seit Jahren in der Psychiatri­e.“

Morgen wird er entlassen. Dann weiß er nicht wohin. Er hat eine Pflegefami­lie, aber so richtig dahin zurück will er nicht. Vielleicht geht es auch wieder raus. Das ist auch eine Erfahrung, die wir teilen. Wir alle haben schon mal draußen geschlafen. Egal ob für eine Woche oder ein halbes Jahr. Jeder weiß, wie es ist, wenn alle sich auf den Heimweg machen und man einfach dableibt.

Ich frage sie nach ihren Plänen. Einer sagt, er muss direkt danach Sozialstun­den abreißen. Sie reden darüber, was sie machen müssen. Keiner spricht davon, was er wirklich tun will. Keiner hat einen Plan. Sie sind gefangen. Der Horizont ist so begrenzt. Die Kids kommen gar nicht darauf, weiterzude­nken. Wir reden über Abschlüsse. Keiner hat einen Schulabsch­luss. Ich sage: „Na also. Nun haben wir einen Plan.“

Lust auf Lernen haben die Jungs. Seitdem es die Bibliothek gibt, verschling­en sie Bücher. „Ich hätte nie gedacht, dass Lesen so geil ist. Man kann sich alles einfach so vorstellen.“Unvorstell­bar, dass ein 17-Jähriger Lesen entdeckt. Andere haben die Fantasie schon mit den ersten Märchen geschenkt bekommen.

Als ich mich nach drei Stunden verabschie­de, schenkt mir einer der Jungs sein Knast-Tagebuch. „Ich werde anfangen zu schreiben, also ein Buch oder so. Es ist wirklich entspannt zu schreiben.“

Was für ein besonderes Geschenk.

 ??  ?? Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: Unter Palmen aus Stahl, überall im Handel und auf www.ankerherz.de
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: Unter Palmen aus Stahl, überall im Handel und auf www.ankerherz.de

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