Herz schon weltmeisterlich
Welche Energie und auch Lehren die deutsche Mannschaft aus dem Krimi gegen Frankreich zieht. Weltspitze? Ja! Aber schon cool genug für den Medaillenkampf?
Deutschlands Handballer wähnen sich nach dem dramatischen Remis gegen Titelverteidiger Frankreich zurück in der Weltspitze. Die Brust ist breit, das Herz arbeitet schon weltmeisterlich, die Abwehr titelreif – aber für eine Medaille, bestenfalls die goldene, muss in der Hauptrunde auch der Kopf mitspielen. Es mangelt noch an Coolness und Killerinstinkt. Alle sind überzeugt: Das Beste kommt noch. Das Ticket für die Hauptrunde in Köln ist vorzeitig gelöst, die Vorfreude auf die 19000 Zuschauer fassende Arena am Rhein riesengroß, die Euphorie im Land wächst weiter. Zwölf Millionen Zuschauer in der Spitze hatten den Kracher gegen Frankreich (25:25) vor den TV-Geräten verfolgt.
Die anfängliche Enttäuschung nach dem „herausragenden Handballspiel“(DHB-Vize Bob Hanning) über den Ausgleich in allerletzter Sekunde hat sich längst in pures Selbstvertrauen verwandelt.
„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir gegen jeden gewinnen können“, betont Co-Trainer Alexander Haase vor dem heutigen letzten Vorrundenspiel gegen Serbien. Ist Deutschland nach zwei neunten Plätzen bei den letzten beiden Turnieren zurück in der Weltspitze? „Ja“, sagt
Haase voller Überzeugung. „Dass wir dazugehören und das als Gefühl mitnehmen, ist das Entscheidende.“
Teammanager Oliver Roggisch, Weltmeister von 2007, urteilt im Gespräch mit der MOPO: „Wir waren nicht nur auf Augenhöhe mit den Franzosen, wir waren meiner Meinung nach die bessere Mannschaft.“
Das Abwehrspiel bewegt sich auf allerhöchstem Niveau, im Angriff ist noch Luft nach oben – insbesondere in Sachen Konzentration in den Schlussminuten. Wie schon gegen Russland (22:22) hatte die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop am Ende einen Vorsprung durch eigene Fehler verspielt und jeweils in den letzten Sekunden den Ausgleich kassiert.
„Es ist bitter, dass uns das zweimal in Folge passiert ist“, sagt Steffen Fäth und Torhüter Andreas Wolff
versucht sich in einer positiven Deutung des doppelten Unglücks. „Wir reden uns als Mannschaft ein, dass wir die Pechsträhne jetzt hinter uns haben.“Das Team mache sich aber Gedanken, „wie wir das besser lösen können“. Roggisch weiß: „In der Crunch Time müssen wir cleverer werden.“Dazu gehöre es, „auch mal die Zeit herunterzuspielen“und nicht zu viel zu wollen. Hanning ist überzeugt: „Das wird uns nicht noch mal passieren.“Darf es auch nicht.
Im heißen Kampf um das Halbfinale in Hamburg müssen die Gastgeber mit Spanien und Kroatien weitere Großkaliber entschärfen, die bei aller Klasse auch eine Menge Erfahrung und Abgezocktheit mitbringen. Auf diesem Niveau entscheidet oftmals die Anzahl der Fehler über Sieg und Niederlage.
„Wir müssen lernen, uns zu belohnen“, betont Ab- wehr-Riese Hendrik Pekeler. Es gelte, den Sack zuzumachen, wenn sich die Chance biete. Das ist gegen Russland und auch im Duell mit Frankreich nicht gelungen.
Heißes Herz, kühler Kopf und Killerinstinkt – das ist das Rezept für die nächsten Aufgaben.
Fabian Wiede, der gegen Frankreich zum „Spieler des Spiels“gekürt worden war, ist sicher: „Wir können ganz oben mitspielen – und das werden wir auch!“
Im Idealfall nimmt die DHB-Auswahl 3:1 Punkte mit nach Köln, wenn der heutige letzte Vorrundenspieltag nach Plan verläuft und Brasilien mit Deutschland und Frankreich in die Hauptrunde einzieht – weil dann das Remis gegen Russland aus der Wertung fiele. Deshalb sind die deutschen Spieler heute auch Brasilien-Fans und hoffen, dass die Zuschauer in Berlin die bislang stark aufspielenden Südamerikaner ordentlich anfeuern werden.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge bestreiten die deutschen Handballer heute ihr letztes Spiel in ihrem ersten „Wohnzimmer“, der Arena in Berlin. „13 500 Zuschauer haben uns hier überragend unterstützt, in Köln werden es 19000 sein“, sagt Wolff mit leuchtenden Augen. „Ich habe richtig Bock. Das werden unglaublich geile Spiele!“
Wir waren nicht nur auf Augenhöhe mit den Franzosen, wir waren die bessere Mannschaft.
Teammanager Oliver Roggisch