Hamburger Morgenpost

Herz schon weltmeiste­rlich

Welche Energie und auch Lehren die deutsche Mannschaft aus dem Krimi gegen Frankreich zieht. Weltspitze? Ja! Aber schon cool genug für den Medaillenk­ampf?

- NILS WEBER n.weber@mopo.de

Deutschlan­ds Handballer wähnen sich nach dem dramatisch­en Remis gegen Titelverte­idiger Frankreich zurück in der Weltspitze. Die Brust ist breit, das Herz arbeitet schon weltmeiste­rlich, die Abwehr titelreif – aber für eine Medaille, bestenfall­s die goldene, muss in der Hauptrunde auch der Kopf mitspielen. Es mangelt noch an Coolness und Killerinst­inkt. Alle sind überzeugt: Das Beste kommt noch. Das Ticket für die Hauptrunde in Köln ist vorzeitig gelöst, die Vorfreude auf die 19000 Zuschauer fassende Arena am Rhein riesengroß, die Euphorie im Land wächst weiter. Zwölf Millionen Zuschauer in der Spitze hatten den Kracher gegen Frankreich (25:25) vor den TV-Geräten verfolgt.

Die anfänglich­e Enttäuschu­ng nach dem „herausrage­nden Handballsp­iel“(DHB-Vize Bob Hanning) über den Ausgleich in allerletzt­er Sekunde hat sich längst in pures Selbstvert­rauen verwandelt.

„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir gegen jeden gewinnen können“, betont Co-Trainer Alexander Haase vor dem heutigen letzten Vorrundens­piel gegen Serbien. Ist Deutschlan­d nach zwei neunten Plätzen bei den letzten beiden Turnieren zurück in der Weltspitze? „Ja“, sagt

Haase voller Überzeugun­g. „Dass wir dazugehöre­n und das als Gefühl mitnehmen, ist das Entscheide­nde.“

Teammanage­r Oliver Roggisch, Weltmeiste­r von 2007, urteilt im Gespräch mit der MOPO: „Wir waren nicht nur auf Augenhöhe mit den Franzosen, wir waren meiner Meinung nach die bessere Mannschaft.“

Das Abwehrspie­l bewegt sich auf allerhöchs­tem Niveau, im Angriff ist noch Luft nach oben – insbesonde­re in Sachen Konzentrat­ion in den Schlussmin­uten. Wie schon gegen Russland (22:22) hatte die Mannschaft von Bundestrai­ner Christian Prokop am Ende einen Vorsprung durch eigene Fehler verspielt und jeweils in den letzten Sekunden den Ausgleich kassiert.

„Es ist bitter, dass uns das zweimal in Folge passiert ist“, sagt Steffen Fäth und Torhüter Andreas Wolff

versucht sich in einer positiven Deutung des doppelten Unglücks. „Wir reden uns als Mannschaft ein, dass wir die Pechsträhn­e jetzt hinter uns haben.“Das Team mache sich aber Gedanken, „wie wir das besser lösen können“. Roggisch weiß: „In der Crunch Time müssen wir cleverer werden.“Dazu gehöre es, „auch mal die Zeit herunterzu­spielen“und nicht zu viel zu wollen. Hanning ist überzeugt: „Das wird uns nicht noch mal passieren.“Darf es auch nicht.

Im heißen Kampf um das Halbfinale in Hamburg müssen die Gastgeber mit Spanien und Kroatien weitere Großkalibe­r entschärfe­n, die bei aller Klasse auch eine Menge Erfahrung und Abgezockth­eit mitbringen. Auf diesem Niveau entscheide­t oftmals die Anzahl der Fehler über Sieg und Niederlage.

„Wir müssen lernen, uns zu belohnen“, betont Ab- wehr-Riese Hendrik Pekeler. Es gelte, den Sack zuzumachen, wenn sich die Chance biete. Das ist gegen Russland und auch im Duell mit Frankreich nicht gelungen.

Heißes Herz, kühler Kopf und Killerinst­inkt – das ist das Rezept für die nächsten Aufgaben.

Fabian Wiede, der gegen Frankreich zum „Spieler des Spiels“gekürt worden war, ist sicher: „Wir können ganz oben mitspielen – und das werden wir auch!“

Im Idealfall nimmt die DHB-Auswahl 3:1 Punkte mit nach Köln, wenn der heutige letzte Vorrundens­pieltag nach Plan verläuft und Brasilien mit Deutschlan­d und Frankreich in die Hauptrunde einzieht – weil dann das Remis gegen Russland aus der Wertung fiele. Deshalb sind die deutschen Spieler heute auch Brasilien-Fans und hoffen, dass die Zuschauer in Berlin die bislang stark aufspielen­den Südamerika­ner ordentlich anfeuern werden.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge bestreiten die deutschen Handballer heute ihr letztes Spiel in ihrem ersten „Wohnzimmer“, der Arena in Berlin. „13 500 Zuschauer haben uns hier überragend unterstütz­t, in Köln werden es 19000 sein“, sagt Wolff mit leuchtende­n Augen. „Ich habe richtig Bock. Das werden unglaublic­h geile Spiele!“

Wir waren nicht nur auf Augenhöhe mit den Franzosen, wir waren die bessere Mannschaft.

Teammanage­r Oliver Roggisch

 ??  ?? Vereinte KrVfte: Die aggressive deutsche Abwehr ist absolute Weltklasse und das Fundament im Kampf um das Halbfinale.
Vereinte KrVfte: Die aggressive deutsche Abwehr ist absolute Weltklasse und das Fundament im Kampf um das Halbfinale.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Tückische Lücke: Der letzte Wurf des Franzosen Timothey N'Guessan fliegt durch den deutschen Block und ins Tor – Ausgleich in letzter Sekunde.
Tückische Lücke: Der letzte Wurf des Franzosen Timothey N'Guessan fliegt durch den deutschen Block und ins Tor – Ausgleich in letzter Sekunde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany