„Jesus lebt“, aber der Mieter muss gehen?
Ausgerechnet den selbstlosen Helfern in Uniform wird vorgeworfen, sich wie Immobilienhaie aufzuführen
Praktisch jeder kennt das Gebäude der Heilsarmee auf St.Pauli. Talstraße 13. Neben Leuchtreklamen für Sex-Shops und Bars prangt da: „Jesus lebt“. Seit Kriegsende wurde das Haus nicht saniert. Dies soll sich ändern. Allerdings: Noch leben dort Mieter, und die sollen offenbar gehen! In den oberen Stockwerken herrscht gähnende Leere. „Früher haben hier acht Parteien gelebt, Familien, WGs, Einzelpersonen“, berichtet Sarah T., eine von drei verbliebenen Mietern im Haus. Aber die vergangenen Jahre seien fast alle ausgezogen.
Kein Wunder, denn das Haus ist wirklich heruntergekommen. Der Putz brö- ckelt von Wänden und Decken, vielerorts schimmert der Schimmel durch. Aber Frau T. wohnt seit zwölf Jahren hier, will bleiben. Der Kiez ist ihr ans Herz gewachsen, ist ihre Heimat. Und: Sie lebt von Hartz IV, kann sich eine teurere Wohnung kaum leisten.
Die Heilsarmee aber will sanieren (MOPO berichtete). 4,5 Millionen Euro soll das kosten. Unten bleibt die Tagesstätte, oben soll neu vermietet werden. Deswegen erhielten Frau T. und die beiden anderen Mietparteien im Juli 2018 die Kündigung. Mit Fristen bis zu neun Monaten. Aber hat man ihr denn keinen Ersatz angeboten? Und kein Recht auf Rückkehr? „Ich hätte mehr als das Doppelte zahlen sollen“, sagt sie. Derzeit sind es 230 Euro, dann 570. Das übernimmt das Amt nicht.
Rainer Wiebe von der Heilsarmee gibt zu: Ja, das Angebot habe anfangs eine deutliche Mieterhöhung vorgesehen, aber mittlerweile gebe es Gespräche mit der Investitions- und Förderbank. Inzwischen werde den Mietern ein Quadratmeterpreis von 6,60 Euro angeboten, wahlweise Abfindungen zwischen 12 500 und 22 500 Euro.
Eine Partei habe das Geld auch angenommen, Frau T. allerdings nicht. Wiebe spricht von zähen Verhandlungen und Sturköpfigkeit aufseiten von Frau T., ihrem Anwalt und vor allem ihrem Vater. „Da gibt es keinerlei Kompromissbereitschaft.“Der denke nur in Freund-Feind-Kategorien.
Der Vater spricht gegenüber der MOPO dann auch von „Gentrifizierung auf Kosten von Hartz-IV-Empfängern“und „Entmie-
tungs-Aktionen wie bei den Esso-Häusern“. Unangekündigt hätten Bauarbeiten begonnen: „Um 7.30 Uhr haben sie mit Schlagbohrern, Brecheisen und ohrenbetäubendem Lärm losgelegt!“95 Dezibel seien dabei gemessen worden.
Tatsächlich: Das Treppenhaus ist von Baustaub überzogen, Böden und Decken sind aufgerissen, es sieht aus wie auf einer Baustelle. Vater T. hat Angst, dass so absichtlich die Statik zerstört worden sein könnte, um eine Handhabe für den Rauswurf zu haben. Und: Die Arbeiten seien nicht genehmigt!
Auch das stimme zwar, sagt die Heilsarmee. Aber eine solche Genehmigung habe man gar nicht gebraucht, es handle sich um „bauvorbereitende Maßnahmen“. Um die Statik überhaupt prüfen zu können. Auch ein Sprecher des Bezirksamts Mitte bestätigt: Bei einem Prüftermin am Donnerstag sei alles für rechtens befunden worden. Und: „Es ist keine Gefahr im Verzug.“StatikAngst sei also unbegründet.
Bleibt die Frage: Wie herzlos ist die Heilsarmee ihren Mietern gegenüber? Und warum sind die Parteien bislang nicht zueinandergekommen? „Die Talstraße ist mittlerweile ein Filetstück“, sagt Vater T., man wolle „Luxuswohnungen“errichten. Das sei Quatsch, heißt es bei der Heilsarmee. „Bei den Planungen sind wir bisher von 12 bis 14 Euro pro Quadratmeter Fläche ausgegangen.“Die Sanierung sei nötig und dabei müsse die Heilsarmee wirtschaftlich vorgehen. Aber nun gebe es ja die geförderten Wohnungen à 6,60 Euro. Außerdem habe die Heilsarmee Kontakt mit der Stadtentwicklungsgesellschaft aufgenommen: Sie stelle für die Zeit der Renovierung geförderten Wohnraum zur Verfügung. „Danach ist es den Mietern freigestellt, zurück in die Talstraße zu ziehen.“Dann müsste man auch nicht vor Gericht.
Offenbar hat es bislang ein erhebliches Kommunikationsproblem gegeben. Denn mit dieser Lösung wäre auch Frau T. völlig zufrieden.