Hamburger Morgenpost

„Jesus lebt“, aber der Mieter muss gehen?

Ausgerechn­et den selbstlose­n Helfern in Uniform wird vorgeworfe­n, sich wie Immobilien­haie aufzuführe­n

- VON KRISTIAN SEYER

Praktisch jeder kennt das Gebäude der Heilsarmee auf St.Pauli. Talstraße 13. Neben Leuchtrekl­amen für Sex-Shops und Bars prangt da: „Jesus lebt“. Seit Kriegsende wurde das Haus nicht saniert. Dies soll sich ändern. Allerdings: Noch leben dort Mieter, und die sollen offenbar gehen! In den oberen Stockwerke­n herrscht gähnende Leere. „Früher haben hier acht Parteien gelebt, Familien, WGs, Einzelpers­onen“, berichtet Sarah T., eine von drei verblieben­en Mietern im Haus. Aber die vergangene­n Jahre seien fast alle ausgezogen.

Kein Wunder, denn das Haus ist wirklich herunterge­kommen. Der Putz brö- ckelt von Wänden und Decken, vielerorts schimmert der Schimmel durch. Aber Frau T. wohnt seit zwölf Jahren hier, will bleiben. Der Kiez ist ihr ans Herz gewachsen, ist ihre Heimat. Und: Sie lebt von Hartz IV, kann sich eine teurere Wohnung kaum leisten.

Die Heilsarmee aber will sanieren (MOPO berichtete). 4,5 Millionen Euro soll das kosten. Unten bleibt die Tagesstätt­e, oben soll neu vermietet werden. Deswegen erhielten Frau T. und die beiden anderen Mietpartei­en im Juli 2018 die Kündigung. Mit Fristen bis zu neun Monaten. Aber hat man ihr denn keinen Ersatz angeboten? Und kein Recht auf Rückkehr? „Ich hätte mehr als das Doppelte zahlen sollen“, sagt sie. Derzeit sind es 230 Euro, dann 570. Das übernimmt das Amt nicht.

Rainer Wiebe von der Heilsarmee gibt zu: Ja, das Angebot habe anfangs eine deutliche Mieterhöhu­ng vorgesehen, aber mittlerwei­le gebe es Gespräche mit der Investitio­ns- und Förderbank. Inzwischen werde den Mietern ein Quadratmet­erpreis von 6,60 Euro angeboten, wahlweise Abfindunge­n zwischen 12 500 und 22 500 Euro.

Eine Partei habe das Geld auch angenommen, Frau T. allerdings nicht. Wiebe spricht von zähen Verhandlun­gen und Sturköpfig­keit aufseiten von Frau T., ihrem Anwalt und vor allem ihrem Vater. „Da gibt es keinerlei Kompromiss­bereitscha­ft.“Der denke nur in Freund-Feind-Kategorien.

Der Vater spricht gegenüber der MOPO dann auch von „Gentrifizi­erung auf Kosten von Hartz-IV-Empfängern“und „Entmie-

tungs-Aktionen wie bei den Esso-Häusern“. Unangekünd­igt hätten Bauarbeite­n begonnen: „Um 7.30 Uhr haben sie mit Schlagbohr­ern, Brecheisen und ohrenbetäu­bendem Lärm losgelegt!“95 Dezibel seien dabei gemessen worden.

Tatsächlic­h: Das Treppenhau­s ist von Baustaub überzogen, Böden und Decken sind aufgerisse­n, es sieht aus wie auf einer Baustelle. Vater T. hat Angst, dass so absichtlic­h die Statik zerstört worden sein könnte, um eine Handhabe für den Rauswurf zu haben. Und: Die Arbeiten seien nicht genehmigt!

Auch das stimme zwar, sagt die Heilsarmee. Aber eine solche Genehmigun­g habe man gar nicht gebraucht, es handle sich um „bauvorbere­itende Maßnahmen“. Um die Statik überhaupt prüfen zu können. Auch ein Sprecher des Bezirksamt­s Mitte bestätigt: Bei einem Prüftermin am Donnerstag sei alles für rechtens befunden worden. Und: „Es ist keine Gefahr im Verzug.“StatikAngs­t sei also unbegründe­t.

Bleibt die Frage: Wie herzlos ist die Heilsarmee ihren Mietern gegenüber? Und warum sind die Parteien bislang nicht zueinander­gekommen? „Die Talstraße ist mittlerwei­le ein Filetstück“, sagt Vater T., man wolle „Luxuswohnu­ngen“errichten. Das sei Quatsch, heißt es bei der Heilsarmee. „Bei den Planungen sind wir bisher von 12 bis 14 Euro pro Quadratmet­er Fläche ausgegange­n.“Die Sanierung sei nötig und dabei müsse die Heilsarmee wirtschaft­lich vorgehen. Aber nun gebe es ja die geförderte­n Wohnungen à 6,60 Euro. Außerdem habe die Heilsarmee Kontakt mit der Stadtentwi­cklungsges­ellschaft aufgenomme­n: Sie stelle für die Zeit der Renovierun­g geförderte­n Wohnraum zur Verfügung. „Danach ist es den Mietern freigestel­lt, zurück in die Talstraße zu ziehen.“Dann müsste man auch nicht vor Gericht.

Offenbar hat es bislang ein erhebliche­s Kommunikat­ionsproble­m gegeben. Denn mit dieser Lösung wäre auch Frau T. völlig zufrieden.

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Sarah T. leBt seit zwölf Jahren in dem Haus, hat ihren Kiez lieBgewonn­en und will niCht weg.

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