So war der Kiez damals wirklich
Honka- Jäger packt aus
Waldemar Paulse was in den 70er Jahren Zivilfahnder im berüchtigten,, Bermuda-Dreieck" von St. Pauli
Der Hamburger Star-Regisseur Fatih Akin hat das Leben des Serien-Mörders Fritz Honka verfilmt. Der Streifen sorgt derzeit für heftige Diskussionen. Waldemar Paulsen (71) war zehn Jahre lang Zivilfahnder (Spitzname „Rotfuchs“) an der Davidwache und erlebte Honka im Lokal „Goldener Handschuh“. Ein Gespräch über das Kiez-Milieu in den 1970er Jahren, Trunkenbolde am Hamburger Berg und die Erfahrung, dem Tod ins Auge zu blicken.
MOPO am Sonntag: Fritz Honka hat zwischen 1970 und 1975 auf St. Pauli seine Opfer gesucht. Sie sind ab 1972 Polizist auf der Davidwache gewesen. Wie war der Kiez damals? Waldemar Paulsen:
Damals lagen die Frachtschiffe noch eine Woche im Hamburger Hafen und die Seeleute hatten die pralle Heuer (Lohn, Anm. d. Red.) in den Taschen. Damit strömten sie nach St. Pauli. Außerdem sind etwa 50 000 Hafenarbeiter im Freihafen tätig gewesen. Die Flottenverbände, die regelmäßig an der Überseebrücke festmachten, kamen noch dazu. Wenn da so ein US-Flugzeugträger anlegte, spuckte der mal eben so 2000 Navy-Soldaten aus. Und alle wollten nach St. Pauli, da bebte der Kiez!
Und was haben Sie damals genau in der Davidwache gemacht?
Ich war Zivilfahnder im Rotlicht-Milieu. Und in diesem Rahmen war ich auch im „Bermuda-Dreieck“tätig. So nannten wir den Hamburger Berg. Fast alle Schankwirtschaften, die auch heute dort noch existieren, waren Aufenthaltsorte für die Abgehängten der Gesellschaft. Dort tranken die Heimatlosen, die Vergessenen oder die Stadtstreicher, wie wir sie damals genannt haben.
Und was für Polizeieinsätze gab es dort?
Im „Goldenen Handschuh“, dem „Elbschlosskeller“oder im „Blauen Peter I“kam es vor allem zu Diebstählen. Kaum war einer eingeschlafen, wurde seine Kleidung durchsucht und die Geldbörse gestohlen. Oft trafen wir auch auf Personen, die offene Tuberkulose hatten und wegen der Ansteckungsgefahr von der Gesundheitsbe- hörde zur Fahndung aus- geschrieben waren. Außerdem haben wir ältere Prostituierte, die dort gerne verkehrten, kontrolliert, ob sie auch einen „Bockschein“hatten. Das war eine gelbe Klappkarte, die amtlich bescheinigte, dass die Person frei von Geschlechtskrankheiten war.
Unter diesen Frauen hat Honka seine Opfer gesucht. Haben Sie den Serienmörder selbst erlebt?
Ja, ich habe ihn 1972 im „Goldenen Handschuh“erstmals überprüft. Routinemäßig. Ein Haftbefehl lag nicht vor.
Wie hat er reagiert?
Er war zurückhaltend, fast devot und hat meist zu Boden geblickt. Man muss ja bedenken – 1970 hatte dieser schmächtige Mann bereits seinen ersten Mord begangen. Aber etwas nervös war er bei der Überprüfung schon.
Hatten Sie damals geglaubt, er hätte etwas zu verbergen?
Nein, für mich war er einfach einer der Abgehängten der Gesellschaft. Es steht den Leuten ja auch nicht auf der Stirn geschrieben, dass sie jemanden umgebracht haben.
Als 1975 die Leichenteile in Honkas Wohnung in Ottensen entdeckt wurden, er verhaftet wurde, was dachten Sie da?
Ich hatte in besagter Nacht Dienst, wollte im ErosCenter jemanden verhaften und dachte nur: Wie kann so eine unscheinbare Gestalt solche Gräueltaten begehen?
Wer saß denn damals im „Goldenen Handschuh“, war das zu 100 Prozent Unterschicht?
Ja, das waren ganz andere Leute als heute. Heute sind das Kultkneipen, damals hingen da wirklich nur die Abgehängten rum.
Erinnern Sie sich an einzelne Charaktere aus dem „Goldenen Handschuh“?
An die „Ordnungspolizei“. Das waren ein Kleinwüchsiger, „Horsti“, kaum 1,30 Meter groß, und sein Pendant, ein Zwei-Meter-Riese, der „Tarzan“genannt wurde. Die haben im Lokal für Ruhe und Ordnung gesorgt, obwohl sie selbst meist gut getankt hatten. „Horsti“gab mit Befehlsstimme das Kommando und „Tarzan“packte Streithähne am Nacken und warf sie aus der Kneipe.
Gegenüber – im Lokal „D-Zug II“– sind Sie beinahe erschossen worden ...
Ja, da verkehrten oft Schwerkriminelle. Am 13. Dezember 1980 suchten wir auf dem Kiez einen Berufsverbrecher, der in Kiel eine Prostituierte mit einer Kette erschlagen hatte. Egon S. war in Hamburg aufgetaucht und hatte bei Karstadt auf einen Ladendetektiv geschossen. Der Täter war seit seinem 16. Lebensjahr fast nur im Knast gewesen und jetzt wollte er erst das PlazaKaufhaus an der Feldstraße und dann den Juwelier Wempe am Hans-Albers-Platz überfallen.
Und Sie haben einen Tipp bekommen?
Es gab da so einen Hinweis von einem Knast-Kumpan. Wir observierten dann Wempe und sahen einen Mann, der dem Gesuchten ähnlich sah. Der ging in den „D-Zug II“. Mein Partner und ich hinterher. Im Lokal waren gut 20 Gäste. Überall lagen die Trunkenbolde herum. Die Musik spielte laut und die Kellner waren auch so besoffen, dass sie sich am Tresen festhalten mussten. Als ich die Papiere des Mannes überprüfte, wurde Egon S. nervös. Außerdem fiel mir seine ausgebeulte Jackentasche auf. Ich griff an die Tasche und er schlug meinen Arm zur Seite. Er zog eine Pistole, hielt sie mir in 50 Zentimetern Entfernung vor das Gesicht und sagte „Hän- de hoch“. Ich nahm die Hände hoch und dann hat sich mein Partner auf ihn geworfen.
Und dann?
Beide stürzten in eine Sitzgruppe. Egon S. schoss dreimal. Die erste Kugel ging an meinem linken Ohr vorbei in die Decke. Die zweite traf einen Gast in den Rücken, den ich gerade aus der Schusslinie ziehen wollte. Nach drei weiteren Schüssen hatte die Pistole von Egon S. Ladehemmung und ich schlug ihm meine Pistole so lange auf den Schädel, bis er die Waffe fallen ließ und wir ihn überwältigen konnten.
Was geschah nach diesem Horror?
Ich meldete mich eine Woche krank, ging dann wieder zum Dienst, um mich abzulenken ...
Denken Sie heute noch daran?
Ja, meistens am 13. Dezember kommt das wieder hoch.
Besuchen Sie heute noch St. Pauli?
Nur wenn ein TV-Team das möchte. Das ist nicht mehr mein Milieu ...
Der Täter Egon S. zog eine scharfe WaltherPistole und hielt sie mir in einer Entfernung von 50 Zentimetern vor das Gesicht. Waldemar Paulsen, Ex-Polizist