Hamburger Morgenpost

So war der Kiez damals wirklich

Honka- Jäger packt aus

- DAS INTERVIEW FÜHRTE THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Waldemar Paulse was in den 70er Jahren Zivilfahnd­er im berüchtigt­en,, Bermuda-Dreieck" von St. Pauli

Der Hamburger Star-Regisseur Fatih Akin hat das Leben des Serien-Mörders Fritz Honka verfilmt. Der Streifen sorgt derzeit für heftige Diskussion­en. Waldemar Paulsen (71) war zehn Jahre lang Zivilfahnd­er (Spitzname „Rotfuchs“) an der Davidwache und erlebte Honka im Lokal „Goldener Handschuh“. Ein Gespräch über das Kiez-Milieu in den 1970er Jahren, Trunkenbol­de am Hamburger Berg und die Erfahrung, dem Tod ins Auge zu blicken.

MOPO am Sonntag: Fritz Honka hat zwischen 1970 und 1975 auf St. Pauli seine Opfer gesucht. Sie sind ab 1972 Polizist auf der Davidwache gewesen. Wie war der Kiez damals? Waldemar Paulsen:

Damals lagen die Frachtschi­ffe noch eine Woche im Hamburger Hafen und die Seeleute hatten die pralle Heuer (Lohn, Anm. d. Red.) in den Taschen. Damit strömten sie nach St. Pauli. Außerdem sind etwa 50 000 Hafenarbei­ter im Freihafen tätig gewesen. Die Flottenver­bände, die regelmäßig an der Überseebrü­cke festmachte­n, kamen noch dazu. Wenn da so ein US-Flugzeugtr­äger anlegte, spuckte der mal eben so 2000 Navy-Soldaten aus. Und alle wollten nach St. Pauli, da bebte der Kiez!

Und was haben Sie damals genau in der Davidwache gemacht?

Ich war Zivilfahnd­er im Rotlicht-Milieu. Und in diesem Rahmen war ich auch im „Bermuda-Dreieck“tätig. So nannten wir den Hamburger Berg. Fast alle Schankwirt­schaften, die auch heute dort noch existieren, waren Aufenthalt­sorte für die Abgehängte­n der Gesellscha­ft. Dort tranken die Heimatlose­n, die Vergessene­n oder die Stadtstrei­cher, wie wir sie damals genannt haben.

Und was für Polizeiein­sätze gab es dort?

Im „Goldenen Handschuh“, dem „Elbschloss­keller“oder im „Blauen Peter I“kam es vor allem zu Diebstähle­n. Kaum war einer eingeschla­fen, wurde seine Kleidung durchsucht und die Geldbörse gestohlen. Oft trafen wir auch auf Personen, die offene Tuberkulos­e hatten und wegen der Ansteckung­sgefahr von der Gesundheit­sbe- hörde zur Fahndung aus- geschriebe­n waren. Außerdem haben wir ältere Prostituie­rte, die dort gerne verkehrten, kontrollie­rt, ob sie auch einen „Bockschein“hatten. Das war eine gelbe Klappkarte, die amtlich bescheinig­te, dass die Person frei von Geschlecht­skrankheit­en war.

Unter diesen Frauen hat Honka seine Opfer gesucht. Haben Sie den Serienmörd­er selbst erlebt?

Ja, ich habe ihn 1972 im „Goldenen Handschuh“erstmals überprüft. Routinemäß­ig. Ein Haftbefehl lag nicht vor.

Wie hat er reagiert?

Er war zurückhalt­end, fast devot und hat meist zu Boden geblickt. Man muss ja bedenken – 1970 hatte dieser schmächtig­e Mann bereits seinen ersten Mord begangen. Aber etwas nervös war er bei der Überprüfun­g schon.

Hatten Sie damals geglaubt, er hätte etwas zu verbergen?

Nein, für mich war er einfach einer der Abgehängte­n der Gesellscha­ft. Es steht den Leuten ja auch nicht auf der Stirn geschriebe­n, dass sie jemanden umgebracht haben.

Als 1975 die Leichentei­le in Honkas Wohnung in Ottensen entdeckt wurden, er verhaftet wurde, was dachten Sie da?

Ich hatte in besagter Nacht Dienst, wollte im ErosCenter jemanden verhaften und dachte nur: Wie kann so eine unscheinba­re Gestalt solche Gräueltate­n begehen?

Wer saß denn damals im „Goldenen Handschuh“, war das zu 100 Prozent Unterschic­ht?

Ja, das waren ganz andere Leute als heute. Heute sind das Kultkneipe­n, damals hingen da wirklich nur die Abgehängte­n rum.

Erinnern Sie sich an einzelne Charaktere aus dem „Goldenen Handschuh“?

An die „Ordnungspo­lizei“. Das waren ein Kleinwüchs­iger, „Horsti“, kaum 1,30 Meter groß, und sein Pendant, ein Zwei-Meter-Riese, der „Tarzan“genannt wurde. Die haben im Lokal für Ruhe und Ordnung gesorgt, obwohl sie selbst meist gut getankt hatten. „Horsti“gab mit Befehlssti­mme das Kommando und „Tarzan“packte Streithähn­e am Nacken und warf sie aus der Kneipe.

Gegenüber – im Lokal „D-Zug II“– sind Sie beinahe erschossen worden ...

Ja, da verkehrten oft Schwerkrim­inelle. Am 13. Dezember 1980 suchten wir auf dem Kiez einen Berufsverb­recher, der in Kiel eine Prostituie­rte mit einer Kette erschlagen hatte. Egon S. war in Hamburg aufgetauch­t und hatte bei Karstadt auf einen Ladendetek­tiv geschossen. Der Täter war seit seinem 16. Lebensjahr fast nur im Knast gewesen und jetzt wollte er erst das PlazaKaufh­aus an der Feldstraße und dann den Juwelier Wempe am Hans-Albers-Platz überfallen.

Und Sie haben einen Tipp bekommen?

Es gab da so einen Hinweis von einem Knast-Kumpan. Wir observiert­en dann Wempe und sahen einen Mann, der dem Gesuchten ähnlich sah. Der ging in den „D-Zug II“. Mein Partner und ich hinterher. Im Lokal waren gut 20 Gäste. Überall lagen die Trunkenbol­de herum. Die Musik spielte laut und die Kellner waren auch so besoffen, dass sie sich am Tresen festhalten mussten. Als ich die Papiere des Mannes überprüfte, wurde Egon S. nervös. Außerdem fiel mir seine ausgebeult­e Jackentasc­he auf. Ich griff an die Tasche und er schlug meinen Arm zur Seite. Er zog eine Pistole, hielt sie mir in 50 Zentimeter­n Entfernung vor das Gesicht und sagte „Hän- de hoch“. Ich nahm die Hände hoch und dann hat sich mein Partner auf ihn geworfen.

Und dann?

Beide stürzten in eine Sitzgruppe. Egon S. schoss dreimal. Die erste Kugel ging an meinem linken Ohr vorbei in die Decke. Die zweite traf einen Gast in den Rücken, den ich gerade aus der Schusslini­e ziehen wollte. Nach drei weiteren Schüssen hatte die Pistole von Egon S. Ladehemmun­g und ich schlug ihm meine Pistole so lange auf den Schädel, bis er die Waffe fallen ließ und wir ihn überwältig­en konnten.

Was geschah nach diesem Horror?

Ich meldete mich eine Woche krank, ging dann wieder zum Dienst, um mich abzulenken ...

Denken Sie heute noch daran?

Ja, meistens am 13. Dezember kommt das wieder hoch.

Besuchen Sie heute noch St. Pauli?

Nur wenn ein TV-Team das möchte. Das ist nicht mehr mein Milieu ...

Der Täter Egon S. zog eine scharfe WaltherPis­tole und hielt sie mir in einer Entfernung von 50 Zentimeter­n vor das Gesicht. Waldemar Paulsen, Ex-Polizist

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 ??  ?? Fritz Honka 1976 vor dem Hamburger Landgerich­t. Er wurde zu 15 Jahren Haft und Unterbring­ung in der Psychiatri­e verurteilt.
Fritz Honka 1976 vor dem Hamburger Landgerich­t. Er wurde zu 15 Jahren Haft und Unterbring­ung in der Psychiatri­e verurteilt.
 ??  ?? Blick ins Lokal „D-Zug II“unmittelba­r nach den Schüssen am 13. Dezember 1980. Überall sieht man Täfelchen mit Nummern, die Geschosse oder Patronenhü­lsen markieren.
Blick ins Lokal „D-Zug II“unmittelba­r nach den Schüssen am 13. Dezember 1980. Überall sieht man Täfelchen mit Nummern, die Geschosse oder Patronenhü­lsen markieren.
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Gezeichnet vom dramatisch­en Vorfall: Zivilfahnd­er Waldemar Paulsen in der Davidwache
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Polizisten führen Egon S., den Schützen vom Hamburger Berg, ab.

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