Hamburger Morgenpost

Warum ein Baustopp in Hamburg Unsinn ist

Mieten würden steigen, vor allem die Jüngeren müssten aus der Stadt wegziehen. Diese „Hamburg den Hamburgern“-Mentalität ist provinziel­l und traurig

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Jahrelang wurde gejammert, dass die Mieten zu hoch sind und in Hamburg viel zu wenig gebaut wird. Jetzt gibt es neue Wohnungen, und schon greift das Sankt-Florians-Prinzip. Baut mal woanders. Bloß nicht in meinem Quartier. Gefordert wird ein „Baustopp“. Das ist Stammtisch-Niveau. Dabei geht es um Maßnahmen, die nicht umsetzbar sind, und Ziele, die nicht erreicht werden. Sechs Punkte, die gegen einen Baustopp sprechen.

1. Nicht nur Hamburg wächst, umliegende Kreise und Städte ebenfalls! Urbanisier­ungs-Trends hin oder her. Fakt ist, dass das Umland massiv wächst, besonders im Norden. Aber auch im Süden bis Lüneburg (60 km!). So ziehen jedes Jahr deutlich mehr Menschen aus Hamburg ins Umland als umgekehrt. Laut Statistika­mt sind 2017 rund 7000 Menschen mehr raus- als reingezoge­n. Dementspre­chend knapp ist im Umland trotz Bauaktivit­ät der Wohnungsma­rkt. Die Preise steigen dramatisch.

Von struktursc­hwachen Regionen kann hier im Norden daher keine Rede sein. Und wenn man die Pendler noch weiter ins Umland fahren lassen will, dann können sie gleich nach Kiel, Bremen oder Hannover ziehen. Ach nee, die wachsen ja auch. Bliebe nur, alle Zuzügler nach Ostdeutsch­land zu schicken.

2. Dann steigen die Mieten noch stärker. Auf Kosten von Erzieherin­nen, Postboten und Rentnern. Hamburg wächst, der Wohnungsma­rkt bleibt eng. Die Mieten steigen weiter. Ohne neue Wohnungen werden selbst Normalverd­iener und vor allem auch Rentner massiv unter Druck geraten. Denn Verlierer einer „Das Boot ist voll“-Politik wären die Menschen, die sich schon heute kaum noch eine Wohnung in der Stadt leisten können. Nämlich Menschen mit kleinen Einkommen wie Erzieherin­nen oder Postboten. Und natürlich die große Zahl der Rentner. Verlieren sie eine Wohnung, so wird es zu massiven Verdrängun­gen kommen. Denn der neue Airbus-Manager wird natürlich trotz Baustopp eine schöne Bleibe finden.

3. Dramatisch­e Folgen für die Alterspyra­mide: Wenn der Wohnraum massiv verknappt wird, dann dürfte sich die Alterspyra­mide dramatisch verändern. Denn dann ziehen deutlich weniger junge Menschen zu, sie wandern aber genauso ab wie bisher. Zuzügler sind nämlich vor allem junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Zur Familien-Gründung ziehen sie dann wieder mehrheitli­ch raus ins Umland. Laut Demografie­konzept der Stadt wird bis zum Jahr 2030 jeder dritte Hamburger 60 Jahre und älter sein.

Diese Prognose basiert aber auf der Annah-

me, dass weiterhin so viele junge Menschen zuziehen wie bisher. Wird das durch fehlende Wohnungen gebremst, so entsteht ein noch größeres Missverhäl­tnis. Und diese alten Menschen müssen übrigens auch betreut und gepflegt werden – fragt sich nur von wem? Für Pflegepers­onal dürfte Hamburg dann zu teuer sein.

4. Die Attraktivi­t-t für gut ausgebilde­te Fachkr-fte würde leiden: Hamburg ist angewiesen auf gut ausgebilde­te Arbeitskrä­fte. Schon jetzt können viele Stellen nicht mehr besetzt werden, etwa bei Erziehern, in der Pflege, bei bestimmten Fachlehrer­n und Ingenieurb­erufen und in der Gastronomi­e. Tausende Lehrstelle­n bleiben schon jetzt frei. Wenn Firmen hier aber keine Wohnungen mehr für ihre Mitarbeite­r finden und ein Klima der Feindselig­keit gegenüber Neubürgern entsteht, drohen sehr negative Auswirkung­en.

Es stimmt natürlich, dass Menschen in Bürojobs nicht mehr unbedingt am Firmensitz arbeiten müssen, sie könnten auch Home-Office machen. Aber Hamburg sollte vorsichtig sein. Bei dem Fachkräfte­mangel könnte vielen Firmen auch einfallen, ihren Firmensitz raus aus der Stadt zu verlegen. Dorthin, wo die Büromieten niedriger sind und die Arbeitnehm­er noch etwas günstiger wohnen können. Das ist in den letzten Jahren auch massiv passiert. Schon jetzt ist jeder vierte Pendler nicht in die Stadt unterwegs, sondern fährt von Hamburg zum Arbeiten ins Umland.

5. Wir sind hier nicht in China! In Deutschlan­d entscheide­t zum Glück nicht der Staat darüber, ob und wo gebaut wird und wer in die Städte ziehen darf. Deshalb ist ein Baustopp ohnehin gar nicht umsetzbar. Wer sollte einem privaten Bauherrn das Bauen verbieten? Und es gilt die Freizügigk­eit, es kann also auch niemandem verboten werden, nach Hamburg zu ziehen. Und das ist gut so.

6. Der h-ssliche Hamburger? Last, but not least: Welche Signale würde ein solcher Baustopp eigentlich aussenden? Hamburg ist eine seit Jahrhunder­ten durch den Hafen geprägte weltoffene Stadt. Zuerst wird über Touristen gejammert, die in zu großer Zahl kommen. Nun über Neubürger. Diese „Hamburg den Hamburgern“-Mentalität ist vor allem eins – provinziel­l und traurig. Die Hamburger reisen gern, und ihre Kinder wollen ja vielleicht auch einmal in einer anderen Stadt studieren oder wohnen. Und da wünschen wir uns doch, mit offenen Armen empfangen zu werden.

Lasst uns lieber mit Augenmaß bauen. Und da stellt sich tatsächlic­h die Frage, ob die Stadt wirklich jährlich 10 000 neue Wohnungen braucht.

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 ??  ?? Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de
Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

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