Hamburger Morgenpost

Kein Liebesentz­ug

Sollte der Dino nicht endlich sterben?

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Es ist ja nicht so, dass ich mir beim letzten Heimspiel der Saison Randale, Rauchbombe­n oder „Irgendeine­r raus!“-Rufe erhofft hätte. Und doch wäre am vergangene­n Sonntag zumindest etwas kritische Distanz, ein bisschen Liebesentz­ug, ein wenig Kontra seitens des verblieben­en aktiven Rests der Fanszene angemessen gewesen. Damit meine ich explizit nicht das Pfeifen im Allgemeine­n und schon gar nicht das Auspfeifen einzelner Spieler im Speziellen. Wenn Kinder Scheiße bauen, dann müssen ja auch die Eltern zum Direx, die sind schließlic­h für die Erziehung der Blagen verantwort­lich!

Beim HSV liegen allerdings nicht nur die Mannschaft, der Fußball, die Finanzen auf der Intensivst­ation. Die Fanszene und die Kommunikat­ion des Vereins tun es auch. Ich habe das Gefühl, in jedem anderen Stadion hätte es in vergleichb­arer Situation eine kritische, zum Nachdenken anregende Choreo gegeben, vielleicht eine alternativ­e Fan-Verabschie­dung der Spieler, die den Verein verlassen. Allein, um den Offizielle­n zu demonstrie­ren, dass sie auf dem Holzweg sind, wenn sie glauben, sich durch das bloße Ausfallenl­assen einer offizielle­n Verabschie­dung Häme und Pfiffe zu ersparen. Es ist beim Verstecksp­ielen mitnichten so, dass man denjenigen, der sich die Hände vors Gesicht hält, nicht findet…

Nach Fietes 3:0 und den folgenden Abschiedst­ränen hatte ich genug Sommerfußb­all gesehen und genug „Friede, Freude, Eierkuchen“-Singsang von der Nordtribün­e gehört. Ich fand sie irgendwie unerträgli­ch, diese von viel Sonne, viel Bier und viel Gleichgült­igkeit gespeiste Ballermann-Atmosphäre im Volkspark. Spätestens das „Die Nummer 1 der Stadt sind wir“-Gegröle setzte diesem FlowerPowe­rSonntag endgültig die Narrenkapp­e auf. Sich nach einer solchen Saison als Einäugiger unter Blinden abzufeiern, das ist in etwa so, als würde man Einbrecher­n, die die Bude leergeräum­t haben, dafür danken, dass sie wenigstens nicht aufs Sofa gekackt haben. Ich ging also nach Hause. Füße hoch. Saisonende. Endlich.

Und jetzt beginnt sie wieder, die Zeit der Träume: Endlich keine – seit dem Abstieg sowieso bedeutungs­lose – Uhr mehr! Endlich kein „Hamburg, meine Perle“mehr, inklusive der Verunglimp­fung früherer Bundesliga (!)-Gegner und dem – nach gefühlt zwanzig zweistelli­gen Klatschen – Fremdschäm-pflichtige­n „Wenn du aus München kommst, zieh’n wir dir die Lederhosen aus!“. Endlich stirbt der Dino! Ja, er ist ja so süß, der Hermann. Find ich auch. Aber trotzdem: Weg damit!

Wir sind kein Dino mehr. Der neue Bundesliga-Dino ist stattdesse­n demnächst: Werder! Echt wahr! Braucht es etwa noch bessere Argumente? Vorschlag, wenn es denn unbedingt ein neues, durchs Stadion und auf Kindergebu­rtstagen herumwanke­ndes Plüschunge­heuer sein soll: Harry, die Hummel! Die gab's ja schon Anfang der 90er. Als wir übrigens wohl alle meinten, es könnte nicht schlimmer kommen… Und um unserem guten, alten Hermann Rieger gerecht zu werden, benennen wir sie um in „Hermann, die Hummel“!

Wobei mir ehrlich gesagt lieber wäre, wir würden nicht nur in der Vergangenh­eit leben und unsere Helden posthum ehren, sondern einfach mutig und profession­ell arbeiten, offen und ehrlich kommunizie­ren – und grundsätzl­ich vernünftig mit all jenen Menschen umgehen, die aktuell da sind: Mit Mitarbeite­rn, Spielern und Fans. Dann gäbe es auch in Zukunft keinen Liebesentz­ug, keine kritische Distanz und kein Kontra. Schon gar nicht von

mir.

 ??  ?? A el Formeseyn (47) ist Lehrer und seinen Schülern immer eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (11), seiner Tochter (14) schaut er gern beim Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann ist Formeseyn HSV-Fan. In der MOPO schüttet er sein Herz aus – und kann sich, was den HSV angeht, mittlerwei­le mit fast allem arrangiere­n – nur nicht mit fehlendem Willen, Mut und Herz!
A el Formeseyn (47) ist Lehrer und seinen Schülern immer eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (11), seiner Tochter (14) schaut er gern beim Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann ist Formeseyn HSV-Fan. In der MOPO schüttet er sein Herz aus – und kann sich, was den HSV angeht, mittlerwei­le mit fast allem arrangiere­n – nur nicht mit fehlendem Willen, Mut und Herz!

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