Hamburger Morgenpost

Am Ende ist jeder allein

Herausford­ernd: Am Thalia-Theater hatte „Neverland“von Antú Romero Nunes Premiere

- Von BRIGITTE SCHOLZ

„Jedes Kind hat eine Mutter. Aber wir haben vergessen, was ein Vater ist“: Wie diese Konstellat­ion der vaterlosen Gesellscha­ft sich auf das Erwachsenw­erden auswirkt, beschäftig­t am Thalia-Theater Hausregiss­eur Antú Romero Nunes. Seine Peter-Pan-Performanc­e „Neverland“(nach Motiven aus dem Klassiker von James M. Barrie) nimmt die Zuschauer mit auf eine fantastisc­he Reise in einen düsteren Kosmos. Bilderstar­k und assoziativ ist die Inszenieru­ng (mit deutschen und englischen Übertiteln), die Nunes mit Schauspiel­ern aus neun Ländern auf die Bühne bringt.

In dem (Sprach-)Grenzen überschrei­tenden Projekt wird das Übernehmen neuer Rollen in fremden Welten zu einem leidvollen Prozess, angesiedel­t im Spannungsf­eld von kunstblutr­eicher Geburt und verzweifel­ter Sehnsucht nach Rückkehr in den Mutterscho­ß.

Der Suche nach einer Balance zwischen Fremd- und Selbstbest­immung ausgesetzt ist der slowenisch­e Schauspiel­er Marko Mandic. Als gelangweil­ter Reisender schließt er sich in seinem Hotelzimme­r einem seltsamen Wesen an: Peter Pan. Der Junge, der nicht erwachsen werden will, ist in „Neverland“ein Mädchen, gespielt von Electra Hallmann aus Schweden. Sie stürzt den Mann in einen Albtraum.

Immer wieder geht es Nunes in seinem hintersinn­igen Text auch um die Einsamkeit des Menschen. In den zwischen Bergen aus Plastikmül­lsäcken hausenden Kindern oder einer „Gutenachtg­eschichte“über die Monotonie der globalisie­rten Welt – überall begegnet der Reisende nur sich selbst. Denn Hook mit der Hakenhand (furchteinf­lößend kraftvoll: Christiane von Poelnitz) hat längst genug von der Rolle der bedingungs­los liebenden Mutter, auf die ohnehin niemand mehr hört. Und der über der Szene schwebende Peter Pan ist natürlich auch keine Erlöserfig­ur.

Am Ende ist jeder allein – das gilt auch für die Besucher der dreistündi­gen, von einem spielfreud­igen Ensemble vorangetri­ebenen Inszenieru­ng. Antworten auf drängende Fragen gibt es nicht. Was zu tun bleibt, bevor es zu spät ist? Miteinande­r reden! Ein Anfang ist mit diesem herausford­ernd üppigen Theaterabe­nd gemacht.

Thalia-Theater, bis 4.1.2020, Alstertor 2, 15 bis 55 Euro, Tel. 32 81 44 44

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Die Meute wird bald Jagd auf den Fremden machen.
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Die Masken sind gefallen. Und ein Mensch ist tot.

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