Hamburger Morgenpost

Bildet eure Azubis endlich richtig aus!

Absurd: Da klagen die Firmen immer über Fachkräfte­mangel, vergessen aber, ihren eigenen Nachwuchs vernünftig auf die Zukunft vorzuberei­ten

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Neun Computer für 500 Auszubilde­nde. Wichtige Lerndokume­nte gibt es nur als PDF zum Ausdrucken. Und von Lehr-Apps habe ich vor ein paar Wochen das erste Mal gehört – willkommen in der Ausbildung 2020! Lernen für die Zukunft? Machst du besser zu Hause. Da nutzen wir technische Geräte per Sprachsteu­erung und regeln unseren Alltag über das Handy. Doch diese Entwicklun­g scheint an manchen Unternehme­n komplett vorbeigega­ngen zu sein. Selbst in meinem Betrieb – und das ist nach der Stadt immerhin der zweitgrößt­e Arbeitgebe­r in Hamburg – bin ich lieber erst mal einen Kaffee holen gegangen, während der Computer hochfährt. Um die lange Wartezeit zu überbrücke­n.

O.k., es tut sich was. Unsere Berichtshe­fte können wir jetzt am Smartphone schreiben, und an den Berufsschu­len kommen neue Laptops an. Doch es ist eine zähe, langsame Entwicklun­g, der wir Jugendlich­e weit voraus sind. Und dementspre­chend sind auch unsere Ansprüche.

Das deckt sich mit den Ergebnisse­n des Ausbildung­sreports, den die Jugendabte­ilung des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), bei der ich mitmache, gerade veröffentl­icht hat. Rund die Hälfte der Hamburger Auszubilde­nden wird in ihren Berufen nicht gezielt für die Nutzung digitaler Technologi­en

qualifizie­rt. Obwohl 80 Prozent finden, dass die Digitalisi­erung wichtig für ihren Beruf ist.

Das ist doch absurd: Da klagen die Firmen immer über Fachkräfte­mangel, vergessen aber, ihren eigenen Nachwuchs vernünftig auf die Zukunft vorzuberei­ten.

Und nicht nur das. „Bleib heute mal ’ne Stunde länger“, „Geh mal den Brief zur Post bringen“– Das sind Sätze, die kennen viele Auszubilde­nde aus meinem Bekanntenk­reis leider nur zu gut.

Viele meiner Azubi-Freunde wissen im letzten Ausbildung­sjahr noch nicht, wie es weitergeht. Fanny Weisser

Mal was außerhalb der Reihe zu machen, damit haben ja die wenigsten ein Problem. Dann muss aber auch das Drumherum stimmen.

Aber gerade da, wo Azubis betreut und fachlich angeleitet werden sollen, haben viele Unternehme­n Stellen abgebaut. Auch in meiner Ausbildung­szeit hatten die Trainer viel zu wenig Zeit, um individuel­l auf uns einzugehen.

Stattdesse­n machen es sich viele Unternehme­n bequem und suchen Bewerber/-innen aus, die schon fast fertige Arbeitskrä­fte sind. Möglichst Abitur, Führersche­in und drei Fremdsprac­hen. Aber öffentlich über die schlecht gebildeten Jugendlich­en meckern!

Viele haben offenbar vergessen, was Ausbildung eigentlich bedeutet: einem Jugendlich­en den Weg in den Beruf ebnen, ihn unterstütz­en und eine Perspektiv­e aufzeigen. Das ist manchmal mühsam und bindet Arbeitskrä­fte, sicher. Aber so viel Verantwort­ung gegenüber der Jugend können wir von den Arbeitgebe­rn doch wohl verlangen, oder?

Wobei: Wir können ja schon glücklich sein, wenn in den Unternehme­n überhaupt ausgebilde­t wird. Das ist nämlich in Hamburg gerade mal in 17 Prozent aller hier ansässigen Firmen der Fall.

Und wer denkt, auf dem heiß umkämpften Fachkräfte­markt machen die Personalab­teilungen ihrem Nachwuchs schon während dessen Ausbildung­szeit unverschäm­te Angebote, um ihn zu halten, der irrt gewaltig. Bei uns im Unternehme­n ist die Übernahme zum Glück per Tarifvertr­ag geklärt. Aber viele meiner Azubi-Freunde wissen auch im letzten Ausbildung­sjahr

noch nicht, wie es weitergeht. Plan da mal Zukunft!

Da kann ich nur sagen: Respekt, dass trotz allem zwei Drittel von uns zufrieden mit der Ausbildung sind. Und es stimmt ja auch, dass die duale Ausbildung in Hamburg eine gute Sache ist. Wir alle wollen den Beruf erlernen, den wir uns ausgesucht haben. Und die meisten von uns identifizi­eren sich mit ihrer Firma und dem, was sie da tun.

Es wäre schön, wenn die Arbeitgebe­r uns das zurückzahl­en. Mit guter Qualität und fairen Arbeitsbed­ingungen.

PS: Über Geld habe ich ja gar nicht gesprochen. Nur kurz: Mein Kollege, ein Stahlbeton­bauer, bekommt im ersten Ausbildung­sjahr netto 700 Euro. Und er sucht gerade ein WGZimmer in Hamburg. Merkt ihr selber, oder?

 ??  ?? Nur 17 Prozent der hiesigen Firmen bilden Azubis aus – leider allzu oft nicht nach modernen Erforderni­ssen. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! stAndpunkt@mopo.de
Nur 17 Prozent der hiesigen Firmen bilden Azubis aus – leider allzu oft nicht nach modernen Erforderni­ssen. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! stAndpunkt@mopo.de

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