Frust in der ZuhauseSchule
Warum Home-Schooling viele Eltern überfordert und Ungerechtigkeiten verstärkt
Die Schulen in Hamburg sind geschlossen, gelernt werden muss zu Hause. Das stellt alle Schüler und ihre Eltern vor Probleme. Aber Jungen und Mädchen aus bildungsfernen Familien trifft die Situation ganz besonders. „Wir drohen die schwachen Schüler jetzt in der Krise zu verlieren“, sagt Schulleiter Björn Lengwenus aus Dulsberg. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert, dass die zu Hause bewältigten Aufgaben nicht benotet werden sollten.
Es gibt in der Stadt Familien, die mit sechs Personen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung leben. Auch Lengwenus kennt solche Fälle aus seinem Schulalltag in der Stadtteilschule Alter Teichweg in Dulsberg. „Und längst nicht jeder Schüler hat zu Hause einen eigenen PC“, erzählt er.
Etliche Schulen kaufen jetzt aus dem Geld des Digitalpakts Laptops, die dann an die Schüler verliehen werden dürfen. Lengwenus: „Ich habe allein 70 Schüler, die auf ein solches Gerät warten.“
Tatsächlich haben natürlich auch in sozial schwachen Familien viele Kinder ein eigenes Smartphone. Aber damit lassen sich kaum Aufgaben für die Schule bewältigen. Die meisten Schulen schicken den Schülern derzeit Aufgaben per Mail. Ausdrucken wäre optimal, schließlich sollen ja die Matheaufgaben ausgefüllt, abgescannt und an den Lehrer zurückgeschickt werden. Doch einen Drucker hat kaum jemand.
In etlichen Familien fehlt der Internet-Anschluss, und wenn ein PC zur Verfügung steht, müssen sich mehrere Kinder und manchmal auch die Eltern im Homeoffice das Gerät teilen. Das sorgt dann auch für Schüler, die ihre Aufgaben über Lernplattformen erledigen sollen, für Probleme.
Sie haben oftmals gar nicht so viel Zeit am Rechner, wie sie brauchen würden. Weil schon die nächste Person drängelt, dass sie das Gerät braucht.
Laut Schulbehörde wird in rund 26 Prozent aller Hamburger Familien kein Deutsch gesprochen. Rund ein Drittel aller Familien bezieht Hilfen zum Lebensunterhalt und über 40 Prozent gelten als einkommensschwach.
Die Schule Alter Teichweg hat jetzt Honorarkräfte eingestellt, die schlecht ausgestattete Schüler mit Lernmaterial versorgen. Lengwenus: „Wir verschicken täglich Lernpakete an 250 bis 400 unserer Schüler.“
Das sei auch besonders für die Grundschüler wichtig. „Die brauchen ja auch Knetgummi und Lernplättchen etc., um ihre Aufgaben zu machen.“
Außerdem sind Honorarkräfte dabei, Schüler anzurufen, die Probleme mit den Aufgaben haben und von zu Hause keine Unterstützung bekommen können. „Diese Telefonate dauern dann auch mal eine ganze Stunde.“
Wie das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelt hat, ist auch die Motivation bei lernschwachen Schülern deutlich geringer. Sie brauchen mehr Unterstützung, um sich überhaupt an die Aufgaben zu machen. Weil der Erfolg fehlt, lernen sie nicht so gern und machen nicht so gern Hausaufgaben.
Auch dieser Faktor muss neben den Nachteilen bei der Ausstattung und der geringeren Hilfe durch Eltern bedacht werden. Da fehlt der anspornende Lehrer besonders.
Die Elternkammer führt gerade eine Umfrage unter allen Hamburger Eltern durch. Sie will ermitteln, wie das Lernen zu Hause funktioniert. Was für Aufgaben die Lehrer stellen und ob sie bewertet werden. Forderungen von Eltern, das Lernen zu Hause zu stoppen, weist die Kammer als nicht sinnvoll zurück. „Dann haben die benachteiligten Schüler es am Ende nur noch schwerer“, sagt Alexandra Fragopoulos, stellvertretende Vorsitzende der Elternkammer.
Denn lernstarke Schüler würden den verlorenen Stoff innerhalb von zwei Monaten recht schnell nachholen können, wenn die Schule wieder startet. Fragopoulos: „Aber die schwachen, die werden dann auf der Strecke bleiben.“Und da könnte eine Fünf in einer Arbeit dann einen verpassten Schulabschluss bedeuten.
„Besser, die Schüler lernen ein bisschen als gar nichts in dieser Zeit.“Der Abstand zu den Guten würde in dieser Zeit kaum gravierend wachsen. Auch Schulleiter Lengwenus hält wenig von der Forderung, den Schülern die Aufgaben zu erlassen. „Es ist für die Schüler gerade jetzt besonders wichtig,
Nach Auskunft der Schulbehörde wird in 26 Prozent aller Hamburger Familien kein Deutsch gesprochen.
diese Strukturen, Netzwerke und den Kontakt zu Lehrern und Mitschülern zu halten“, sagt er. „Es wäre katastrophal, wenn das wegfiele.“Dann sollten lieber andere Maßstäbe angesetzt und
Aufgaben nicht benotet werden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert, die Abschlussprüfungen für den ersten und mittleren Schulabschluss jetzt zu streichen. Sie stehen im April und Mai an.
„Wer ohnehin schon eine schwierige Situation zu Hause hat, der wird jetzt abgehängt“, sagt die GEW-Chefin Anja Bensinger-Stolze.
Die Prüfungen sollten durch eine „geeignete großzügige Benotung“ersetzt werden. „Wir müssen gerade jetzt die Bildungsgerechtigkeit ganz nach vorne stellen.“
Die Schüler, die ohnehin schon eine schwierige Situation zu Hause haben, werden jetzt abgehängt. Anja Bensinger-Stolze (GEW)
sind in Hamburg bisher gemeldet worden (Stand Ostersonnabend). Die Zahl der Genesenen wird nach den Feiertagen bekannt gegeben.
kamen im Vergleich zum Vortag hinzu.