Was Deutschlands klügste Köpfe jetzt empfehlen
Nationale Akademie der Wissenschaften legt Fahrplan für Ende der Kontaktsperren vor
Mediziner, Ökonomen, Verfassungsrechtler, Psychologen: Die Ratschläge der Forscher der „Leopoldina“für den Umgang mit der Corona-Krise
Seit 368 Jahren gibt es die „Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina“. Die Aufmerksamkeit, mit der die jüngste Veröffentlichung der ruhmreichen Einrichtung, die heute in Halle ansässig ist, betrachtet wird, dürfte trotzdem außergewöhnlich sein. Sie skizziert einen möglichen Ausstieg aus den restriktiven CoronaRegeln.
26 Gelehrte aus unterschiedlichen Fachbereichen hatten über Ostern diskutiert, um einen Konsens zu den Empfehlungen zu erreichen, die sich die Kanzlerin von ihnen erhofft hatte. Das Urteil der Forscher sei für sie „sehr wichtig“, hatte Merkel im Hinblick auf die anstehenden Entscheidungen zum Lockdown erklärt.
Jetzt liegt es vor. Voraussetzung für alle Abschwächungen der jetzt so strikten Regeln: Die Infektionen müssten auf niedrigem Niveau stabilisiert werden. Alle Maßnahmen müssten hier auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-NasenSchutz, Tests und Quarantäne umgesetzt werden.
➤ BILDUNG: Die LeopoldinaExperten raten zu einer schrittweisen und nach Jahrgangsstufen differenzierten Wiedereröffnung von Schulen und Hochschulen.
➤ Zuerst sollen Grundschulen und die Sekundarstufe I (Haupt-, Real- und Gesamtschulen bis Klasse 10 sowie Gymnasien bis Klasse 9 beziehungsweise 10) geöffnet werden. Begründung: Jüngere seien mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen.
➤ Kleine Gruppengrößen: In
Grundschulen müsse mit Gruppen von maximal 15 Schülern gestartet werden. Auch zeitversetzter Unterricht sei möglich. Zudem solle es eine Konzentration auf Schwerpunktfächer geben, etwa Deutsch und Mathematik in der Grundschule. „Der Schulhof darf nicht zum Austauschort von Viren werden“, wird betont. Es solle mit den Abschlussklassen begonnen werden, „damit sie auf den Übergang in die weiterführenden Schulen vorbereitet werden können“.
➤ Kitas und Kindergärten: Auch hier Betrieb mit reduzierten Gruppengrößen von maximal fünf Kindern (5und 6-Jährige) je Raum. Weil kleinere Kinder sich nicht an Distanzregeln und Schutzmaßnahmen hielten, sollen die Kitas für sie bis zu den Sommerferien im Notbetrieb bleiben – dies solle auch für die Horte gelten.
➤ In der Sekundarstufe I solle der Unterricht mit jenen Stufen beginnen, bei denen zentrale Abschlussprüfungen stattfänden – bei allen weiteren Jahrgängen wird Konzentration auf Kernfächer (Deutsch, Mathe, Fremdsprachen) vorgeschlagen.
➤ An den Universitäten und Hochschulen solle das Sommersemester „weitgehend als Online/Home-LearningSemester zu Ende“gehen.
➤ ÖFFENTLICHES LEBEN: Zunächst könnten etwa der Einzelhandel, das Gastgewerbe und Behörden öffnen, schlagen die Leopoldina-Experten vor. Auch private und dienstliche Reisen sowie gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen könnten wieder stattfinden. Auch dies unter den Voraussetzungen: wenige Neuinfektionen, bekannte Hygieneregeln einhalten, gut gerüstete Krankenhäuser.
➤ In Bussen und Bahnen soll eine Maskenpflicht eingeführt werden.
➤ WIRTSCHAFTSPOLITIK: Staatliche Beteiligungen sollten nur im äußersten Notfall eingesetzt werden. Die Experten raten zu Steuererleichterungen, dem Vorziehen der Teilentlastung beim Solidaritätszuschlag oder seiner vollständige Abschaffung.
Öffentliche Investitionen, etwa im Gesundheitswesen, der digitalen Infrastruktur und im Klimaschutz seien wichtig.
Die Krise erfordere in höchstem Maße ein europäisch-solidarisches Handeln.
An der Schuldenbremse im Rahmen ihrer derzeit geltenden Regeln sei festzuhalten.
➤ GUTE DATENBASIS SCHAFFEN: Erhebung von GPS-Daten und App-Umfragen nach dem Gesundheitszustand. Freiwillig bereitgestellte Daten könnten anonymisiert, sicher und geschützt für bessere Prognosen dienen.
➤ GRUNDRECHTE: Die derzeitigen Einschränkungen dienten ohne Zweifel einem legitimen Ziel. Dennoch habe der Staat die Pflicht, angesichts der Schwere der Maßnahmen „ständig zu überprüfen, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden können“.