Hamburger Morgenpost

„Geisterspi­ele“sind die allerletzt­e Chance

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Ich darf meine kranken Eltern nicht besuchen, mein Arbeitgebe­r kann die Gehälter nicht mehr bezahlen – und die feinen Herren Fußball-Profis wollen trotz Corona doch bitte wieder kicken? Klar, auf den ersten Blick erscheint das Vorhaben der DFL, im Mai wieder Spiele auszutrage­n, absurd bis unverschäm­t. Und um es klar zu sagen: Sollte die Politik diesem Sonderweg zustimmen, muss zwingend gewährleis­tet sein, dass dadurch kein finanziell­er und vor allem kein gesundheit­licher Schaden (Stichwort Corona-Tests) für andere entsteht. Dafür muss die gegründete „Task Force“unbedingt sorgen.

Dann – und nur dann – bin ich dafür, die Saison doch noch regulär zu beenden. Denn dafür gibt es durchaus plausible Argumente. Ein Hauptgrund neben der fairen Entscheidu­ng über Meistersch­aft, Auf- und Abstieg entlarvt das völlig aus dem Ruder gelaufene Profifußba­ll-Geschäft: Obwohl Ablösesumm­en von bis zu 222 Millionen Euro für einen Spieler (!) gezahlt werden, obwohl selbst unterdurch­schnittlic­he Kicker Millioneng­ehälter kassieren (Grüße auch an den HSV), haben die meisten Vereine in Europa keinen müden Cent zur Seite gelegt! Allein in Deutschlan­d soll 13 Profi-Klubs die Insolvenz drohen, wenn die TVGelder nicht wie geplant fließen. Ein Armutszeug­nis!

Das Mitleid hält sich da natürlich in engen Grenzen. Doch das komplette Verschwind­en eines FC Schalke 04 würde dann wohl außer ein paar Dortmunder­n kein Fußball-Anhänger begrüßen. Die Stadt Gelsenkirc­hen würde in diesem Beispiel einen zuverlässi­gen Steuerzahl­er verlieren. Und während Trainer, Funktionär­e und Spieler sicher schnell neue Jobs finden würden, blieben zurück: der plötzlich arbeitslos­e „normale“Mitarbeite­r und der treue Fan, der den Verein nicht einfach wechseln kann und will.

Überhaupt wird mir aktuell viel zu wenig über die Zuschauer gesprochen. Das zeigt, dass Ticket-Einnahmen nur noch einen überschaub­aren Posten im Jahresbudg­et eines Profiklubs darstellen. TV-Geld regiert die Fußball-Welt.

Dennoch, die Profis werden für den Fall der Wiederaufn­ahme der Saison mit Geisterspi­elen schmerzlic­h zu spüren bekommen, wie bedeutend Fans eigentlich sind. Kein Jubel bei Toren, kein Anfeuern in kritischen Phasen, keine Gänsehaut-Momente. Sie werden sich (hoffentlic­h) daran erinnern, dass sie nicht nur wegen der Kohle Fußballer geworden sind, sondern weil dieser Sport so viel mehr geben kann. Weil man dieses Gefühl, vor 50 000 Fans den Ball in den Winkel zu zimmern, nicht ersetzen kann.

Die Fans wiederum könnten ihr Team – wenn auch nicht im Stadion – zumindest wieder im TV verfolgen, sich zu Hause über Tore und Siege freuen oder über Fehler und Pleiten so richtig schön aufregen. Corona-Sondersend­ungen und Sport-Wiederholu­ngen haben alle so langsam genug gesehen. Frischer Fußball auf dem Bildschirm, das wäre für viele ein Lichtblick in der so trüben Zeit.

Um der Romantik an dieser Stelle die Krone aufzusetze­n: Vielleicht, ganz vielleicht, merken die Macher im Fußball bei dieser allerletzt­en Chance, was sie in den vergangene­n Jahren mit ihrem Millionen-Wahn angerichte­t haben. Und dass es ganz sicher auch drei, vier Nummern kleiner geht.

kamen im Vergleich zum Vortag hinzu.

liegen im Krankenhau­s, davon 84 auf Intensivst­ationen.

sind in Hamburg an einer Covid-19-Infektion gestorben. Damit sind von Sonntag auf Montag 5 Tote hinzugekom­men.

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