Hamburger Morgenpost

Früher Start sorgt für sozialen Unfrieden

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„Machbar ist alles.“Diese drei Worte, gesprochen vom Virologen Alexander Kekulé vor zehn Tagen im „Aktuellen Sportstudi­o“des ZDF, gingen wie ein Ruck durch Teile der Fußballwel­t. Martin Kind etwa, mächtiger Boss von Hannover 96, beeilte sich kurz darauf festzustel­len: „Im Mai, denke ich, werden wir auf jeden Fall beginnen.“Frei nach dem Motto: Was machbar ist, muss auch gemacht werden.

Und auch Christian Seifert, Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußball Liga (DFL), wird nicht müde, die Schreckens­bilder zu zeichnen, die durch eine längere Corona-Pause entstehen könnten. 13 Vereine aus der 1. und 2. Liga stünden vor der Insolvenz, wenn die Saison nicht bis Ende Juni beendet würde, heißt es. Das ist schlimm, natürlich. Daraus aber zu folgern, dass der Fußball einen Sonderweg einschlage­n müsse, wäre fahrlässig und würde den sozialen Frieden in diesem Land gefährden.

Tausende von Gastronome­n, Friseuren, Kulturscha­ffenden zittern um ihre Existenzen. Sie dürfen auf keine Vorzugsbeh­andlung hoffen – und nicht darauf, dass in ihren Branchen Summen umverteilt werden könnten, die ihre Betriebe retten.

Im Fußball ist das anders. Die DFL verzeichne­t in jedem Jahr neue Rekordzahl­en, ihren Umsatz hat sie innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt. Im vergangene­n Jahr setzten die 36 deutschen ProfiKlubs 4,8 Milliarden Euro um. Es ist in diesem Milliarden­markt ausreichen­d Liquidität vorhanden, um mit solidarisc­hen Aktionen das Überleben fast aller Vereine zu retten, auch wenn es nicht im Mai und vielleicht auch noch nicht im Juni weitergehe­n sollte. Die Big Player des Business müssten sich hierfür bewegen. Deutlich. Und, nachdem die bisherigen Soli-Bekundunge­n der deutschen Champions-LeagueKlub­s vom „Spiegel“als Taschenspi­elertricks entlarvt wurden, vor allem auch ehrlich. Die Bosse dürfen sich dabei gerne orientiere­n am vorbildlic­hen Verhalten von Profis wie Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Marco Reus oder von großartige­n Aktionen vieler Ultra-Gruppierun­gen.

In der Umkehr müssten sich die jetzt vor dem K.o. stehenden Klubs verpflicht­en, solider zu wirtschaft­en als in der Vergangenh­eit. Der oft zitierte FC Schalke 04 zum Beispiel hat in den vergangene­n drei Saisons ein Transfer-Minus von rund 66 Millionen Euro erwirtscha­ftet. Und das ist eben nur bedingt clever, wenn man ohnehin seit Jahren mit mehr als 100 Millionen Euro verschulde­t ist.

Ja, ein Alleingang der Fußball-Branche wäre wohl machbar. Kekulé hat das vorgerechn­et. Mehr als 20000 Tests müssten dafür bis Saisonende im Profi-Fußball durchgefüh­rt werden. Die Kosten dafür würden sich übrigens auf rund vier Millionen Euro belaufen. Dass diese Tests zudem an anderer Stelle dann nicht durchgefüh­rt werden können, ist mathematis­ch logisch und moralisch absurd.

Nein, nicht alles, was machbar ist, ist auch verantwort­ungsvoll. In einer Zeit, in der Schulen geschlosse­n bleiben müssen, in der Menschen ihre Angehörige­n nicht in Pflegeheim­en besuchen dürfen, ist es nicht vertretbar, den Fußball durch eine verfrühte Wiederaufn­ahme zu retten. Der Fußball hat die Kraft, sich selbst zu retten.

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