Hamburger Morgenpost

Wegen Corona: Der Reformstau

Viele politische Projekte bleiben liegen: Von der Wahlrechts­reform bis zur Umschuldun­g

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BERLIN - Das Virus beherrscht die öffentlich­e Debatte. Auf der Tagesordnu­ng der GroKo stehen Beschlüsse wie Kurzarbeit, Hilfen für Unternehme­n und Selbststän­dige oder ein Programm, das Firmenaufk­äufe aus dem Ausland erschwert. Was ist mit Gesetzen, die zuvor dringlich schienen? Ein Überblick:

➤ Wahlrechts­reform Die Reform ist seit Monaten Gegenstand von Verhandlun­gen aller im Bundestag vertretene­n Fraktionen – außer der AfD. Ziel ist, die Zahl der Bundestags­abgeordnet­en zu begrenzen. Derzeit sind es 709, obwohl es nur 598 sein sollten.

➤ Verkehr und Maut Was wurde aus dem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss zur gescheiter­ten Pkw-Maut? „Die Dynamik ist jetzt erst einmal raus”, bedauert Grünen-Vizefrakti­onschef Oliver Krischer – zum Glück für Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU). Andere offene Vorhaben: Laut Klimapaket soll ab 2021 eine reformiert­e KfzSteuer greifen. Hierzu gibt es jedoch noch nicht einmal einen Kabinettsb­eschluss.

Zudem hat die Regierung zwar das Gebäude-Elektromob­ilitätsinf­rastruktur-Gesetz beschlosse­n, in dem zum Beispiel auch Quoten für Ladestatio­nen bei Neubauten geregelt werden, aber im Bundestag war es noch nicht. Die entspreche­nde Frist ist am 10. März 2020 abgelaufen. Die Nationale Wasserstof­fstrategie – auch sie muss sich gedulden. Und noch ein Plan steckt im Corona-Stau fest. Bis zum 1. Januar soll die 2018 gegründete bundeseige­ne Autobahn GmbH die Verwaltung und Auftragsve­rgabe für das gesamte deutsche Autobahnne­tz übernehmen. Hierfür sind noch 2020 Tausende Stellen zu besetzen.

➤ Energiewen­de Laut Kohleausst­iegsgesetz sollen noch vor Ende 2020 die ersten Meiler abgeschalt­et werden. Für die Steinkohle ist das ohne Ausschreib­ungsverfah­ren unmöglich. Das entspreche­nde Gesetz wollte die Bundesregi­erung im April durchs Parlament gebracht haben. Nun wurde die Anhörung auf die Zeit nach Ostern aufgeschob­en. Das Gleiche gilt für das Strukturst­ärkungsges­etz.

➤ Landwirtsc­haft Nach Bauernprot­esten gegen die Agrarpolit­ik wollte Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner Ende März eigentlich auf eine große Diskussion­stour durch Deutschlan­d gehen.

➤ Verteidigu­ng Die Entscheidu­ng für die Nachfolge des in die Jahre gekommenen Kampfflugz­euges Tornado, eigentlich für März erwartet, wird nun erst nach Ostern fallen. Dafür leistet das Verteidigu­ngsministe­rium jetzt Amtshilfe in der Corona-Krise – bei der Organisati­on von Schutzmask­en zum Beispiel.

➤ Arbeit Neue Regeln gegen sachgrundl­ose Befristung – ein Thema, um das bereits in den Koalitions­verhandlun­gen zwischen Union und SPD hart gerungen wurde. Dafür zuständig, ein Gesetz zu erarbeiten, ist das Arbeitsmin­isterium von Hubertus Heil (SPD). Doch der Widerstand in der Union ist groß, auch die Arbeitgebe­r haben deutlich gemacht, dass sie von dem Kompromiss gar nichts halten.

➤ Pflege Eigentlich hat Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) eine Finanzrefo­rm in der Pflegevers­icherung geplant. Problem: Lohnsteige­rungen für die Pfleger sorgen in der derzeitige­n Konstrukti­on der gesetzlich­en Pflegevers­icherung dafür, dass die Eigenantei­le der Bewohner von Heimen kräftig steigen. Derzeit liegen sie im Bundesdurc­hschnitt schon bei knapp 2000 Euro im Monat.

➤ Gesundheit Der Europäisch­e Gerichtsho­f hatte entschiede­n, dass sich ausländisc­he Versandapo­theken wie DocMorris bei der Belieferun­g deutscher Kunden nicht an die hier geltende Preisbindu­ng halten müssen.

Bei den Patientenr­echten geht es um die Einrichtun­g eines Entschädig­ungsfonds für besondere Härtefälle. In Deutschlan­d ist es bei Behandlung­sfehlern sehr schwer, Schadenser­satz durchzuset­zen.

➤ Finanzen Kommunen in Deutschlan­d haben Schulden in Höhe von 42 Milliarden Euro angehäuft. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) plant, diese Altschulde­n zu übernehmen. Widerstand kommt aber von der Unionsbund­estagsfrak­tion.

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Energiewen­de? Erst mal aufgeschob­en. Eine Erdölraffi­nerie in Gelsenkirc­hen.

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