Hamburger Morgenpost

Kiefer wird zum Maskenmann

Der frühere Weltklasse-Spieler über seine Tätigkeit in der Corona-Krise und Zverevs Zukunft

- DAS INTERVIEW FÜHRTE FREDERIK AHRENS

Er ist einer der besten deutschen Tennis-Spieler aller Zeiten. Nicolas Kiefer, Olympia-Silbermeda­illengewin­ner und einst die Nummer vier der Weltrangli­ste, schreibt nun aber andere Schlagzeil­en. Als wohl weltweit erster Sportler engagiert sich der 42-Jährige in den Zeiten der Corona-Pandemie, indem er BehelfsSch­utzmasken für Mund und Nase vertreibt. Im Interview mit der MOPO spricht er über das Virus und die Zukunft von Alexander Zverev.

MOPO: Zehn Jahre nach dem Ende Ihrer Karriere sind Sie wieder in aller Munde. Nicolas Kiefer:

Das war gar nicht meine Absicht. Seit 2018 habe ich mein eigenes Mode-Label „NK #Kiwifash“. Holger Gartz (Geschäftsf­ührer der Kama Gartz & Co. GmbH, ein erfahrener Textilprod­uzent und -veredler, dessen Firma im nordhessis­chen Kassel liegt, die Red.) und ich haben mit Freizeitbe­kleidung angefangen, dann kam eine Tennis-Kollektion und Ende März, Anfang April wollten wir eigentlich mit einer Golf-Kollektion starten.

Dann kam das Coronaviru­s ...

… und wir mussten umdenken. Holger hatte die Idee mit dem Mundschutz, den wir dann auch recht schnell in meinem Onlineshop (www.kiwi-onlineshop.de) anbieten konnten. Das lief alles recht ruhig an, bis ein Fotograf darauf aufmerksam wurde und ein Bild davon verbreitet hat. Seitdem steht das Telefon nicht mehr still.

Die Vision von Holger Gartz ist es, Kommunen und Sozialstat­ionen mit den Masken zu beliefern. Kann ich als Privatpers­on denn auch eine Kiwi-Maske erwerben?

Selbstvers­tändlich. Jeder kann natürlich selbst entscheide­n, ob er eine Maske tragen möchte. Uns war nur wichtig, dass wir Masken von hoher Qualität anbieten. Sie werden hier in Deutschlan­d gefertigt, sind wiederverw­endbar, waschbar, geruchsneu­tral und wurden vielfach getestet, bevor sie auf den Markt gekommen sind.

Wann tragen Sie Ihre Maske?

Immer wenn ich draußen bin. Und bei uns in Hannover gibt es in einigen Supermärkt­en auch schon Mundschutz­pflicht. In Österreich, Dresden und Jena gilt das ja für den gesamten öffentlich­en Bereich.

Würden Sie eine Mundschutz­pflicht begrüßen?

Grundsätzl­ich begrüße ich es, wenn Menschen sich dazu entscheide­n, andere Menschen zu schützen. Dabei kann der Mundschutz helfen. Ich möchte mir da aber auch kein Urteil anmaßen und kann die Menschen verstehen, die sagen, dass es ihnen unangenehm ist. Es gibt ja auch noch Fragen zu klären: Wie ist das zum Beispiel im Auto? Darf ich den Mundschutz

da tragen? Wie ist das, wenn ich damit geblitzt werde?

Wie hat die Corona-Pandemie Ihr Leben verändert?

Ich wäre jetzt eigentlich als Markenbots­chafter der Robinson Clubs in Thailand. Am Donnerstag wäre ich zum Marathon nach Boston geflogen und direkt danach zum nächsten RobinsonEv­ent in die Türkei. Stattdesse­n bin ich jetzt viel zu Hause. Ich genieße diese Entschleun­igung aber auch.

Im Tennis sind alle Turniere bis Mitte Juli abgesagt. Das Rothenbaum­Turnier, das am 13. Juli beginnen soll, steht noch im Terminkale­nder. Glauben Sie, dass es eine Chance gibt, dass in Hamburg aufgeschla­gen wird?

Es wäre schön für die deutschen Tennis-Fans. Aber ich kann es mir nicht vorstellen. Wimbledon wurde abgesagt, das Turnier in Montreal, das im August hätte stattfinde­n sollen, wurde gerade abgesagt. Und es gibt ja auch Überlegung­en, die US Open (24. August bis 13. September, die Red.) zu streichen. Das wäre sicher auch das Aus für Hamburg. Das Problem beim Tennis ist, dass ein fairer Wettbewerb nur stattfinde­n kann, wenn alle Länder ihre Ein- und Ausreiseve­rbote aufheben. Und wenn wir in diesem Jahr nicht verreisen können, wird wohl auch der internatio­nale Tennis-Zirkus sehr lange pausieren müssen.

Mit welchen Folgen?

Die Leidtragen­den sind die jungen Spieler, die gerade an den Top 100 der Weltrangli­ste schnuppern. Die können das finanziell nicht überleben. Sie müssen ihre Leute bezahlen, verdienen aber überhaupt kein Preisgeld. Fußballer haben den Luxus, ein sehr hohes Gehalt zu bekommen. In anderen Sportarten gibt es keine geregelten Einkommen. Da geht es um Existenzen.

Alexander Zverev muss sich finanziell keine Sorgen machen, kann aber als Weltrangli­stensiebte­r in der Corona-Pause die Lücke nach ganz oben auch nicht schließen. Was fehlt ihm noch zu den großen Helden Federer, Nadal und Djokovic?

Mit 22 Jahren ist Sascha immer noch sehr jung. Trotzdem hat er gegen die drei genannten Spieler schon gewonnen. Der nächste Schritt, also auch bei den Grand Slams erfolgreic­h zu sein, ist bei ihm nur eine Frage der Zeit. Er hat ein sehr gutes Umfeld, vertraut seinem Team, seiner Familie. Wenn er verletzung­sfrei bleibt, wird er den ganz großen Wurf schaffen.

Trotz der Erfolge von Zverev sehen viele Experten das deutsche Tennis in einer Krise. Mit Rudi Molleker (Platz 189) findet sich nur ein einziger deutscher U21-Spieler in den Top 500 der Weltrangli­ste, bei den Frauen sieht es nicht besser aus. Was läuft da falsch?

Es gibt in Deutschlan­d viele hervorrage­nde Trainer, aber die besten Trainer bringen dir nichts, wenn die Spieler nicht mitziehen. Manchmal fehlen mir die Disziplin und auch das Feuer in den Augen, das du haben musst, wenn du auch im Herren-Bereich erfolgreic­h sein willst. Biss fehlt, Leidenscha­ft fehlt, alles dem Sport unterzuord­nen.

Haben Sie es mal bereut, dass Sie Ihre Karriere schon mit 32 Jahren beendet haben?

Nie. Ich genieße es, wenn ich mit den Herren 40 beim SCC Berlin spiele und den Nachwuchs dort trainiere. Die Tour vermisse ich nicht. Es war eine schöne Zeit, aber irgendwann kommt ja auch die Zeit danach.

Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde. Einmal noch einen Matchball.

Sie hatten vier im Olympia-Finale im Doppel mit Rainer Schüttler 2004 in Athen, führten 6:2 im Tiebreak.

Ja.

Damals hat die Nation mit Ihnen gelitten, als Sie mit verweinten Augen bei der Siegerehru­ng standen. Was geht Ihnen heute durch den Kopf, wenn Sie auf Ihre Medaille schauen?

Freude. Wirklich Freude. Es war die dramatisch­ste Niederlage, aber letztlich doch der größte Erfolg meiner Karriere.

 ??  ?? Nicolas Kiefer zeigt eine Maske, die er über sein Mode-Label „#Kiwifash“vertreibt. Der Schutz wird in Kassel produziert.
Nicolas Kiefer zeigt eine Maske, die er über sein Mode-Label „#Kiwifash“vertreibt. Der Schutz wird in Kassel produziert.
 ??  ?? 2006 stand Nicolas Kiefer im Halbfinale der Australian Open, in dem er Roger Federer in vier Sätzen unterlag.
2006 stand Nicolas Kiefer im Halbfinale der Australian Open, in dem er Roger Federer in vier Sätzen unterlag.
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 ??  ?? Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler verloren 2004 das Olympia-Finale im Doppel nach einem epischen Drama, das nachts um 2.40 Uhr endete.
Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler verloren 2004 das Olympia-Finale im Doppel nach einem epischen Drama, das nachts um 2.40 Uhr endete.

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