Kiefer wird zum Maskenmann
Der frühere Weltklasse-Spieler über seine Tätigkeit in der Corona-Krise und Zverevs Zukunft
Er ist einer der besten deutschen Tennis-Spieler aller Zeiten. Nicolas Kiefer, Olympia-Silbermedaillengewinner und einst die Nummer vier der Weltrangliste, schreibt nun aber andere Schlagzeilen. Als wohl weltweit erster Sportler engagiert sich der 42-Jährige in den Zeiten der Corona-Pandemie, indem er BehelfsSchutzmasken für Mund und Nase vertreibt. Im Interview mit der MOPO spricht er über das Virus und die Zukunft von Alexander Zverev.
MOPO: Zehn Jahre nach dem Ende Ihrer Karriere sind Sie wieder in aller Munde. Nicolas Kiefer:
Das war gar nicht meine Absicht. Seit 2018 habe ich mein eigenes Mode-Label „NK #Kiwifash“. Holger Gartz (Geschäftsführer der Kama Gartz & Co. GmbH, ein erfahrener Textilproduzent und -veredler, dessen Firma im nordhessischen Kassel liegt, die Red.) und ich haben mit Freizeitbekleidung angefangen, dann kam eine Tennis-Kollektion und Ende März, Anfang April wollten wir eigentlich mit einer Golf-Kollektion starten.
Dann kam das Coronavirus ...
… und wir mussten umdenken. Holger hatte die Idee mit dem Mundschutz, den wir dann auch recht schnell in meinem Onlineshop (www.kiwi-onlineshop.de) anbieten konnten. Das lief alles recht ruhig an, bis ein Fotograf darauf aufmerksam wurde und ein Bild davon verbreitet hat. Seitdem steht das Telefon nicht mehr still.
Die Vision von Holger Gartz ist es, Kommunen und Sozialstationen mit den Masken zu beliefern. Kann ich als Privatperson denn auch eine Kiwi-Maske erwerben?
Selbstverständlich. Jeder kann natürlich selbst entscheiden, ob er eine Maske tragen möchte. Uns war nur wichtig, dass wir Masken von hoher Qualität anbieten. Sie werden hier in Deutschland gefertigt, sind wiederverwendbar, waschbar, geruchsneutral und wurden vielfach getestet, bevor sie auf den Markt gekommen sind.
Wann tragen Sie Ihre Maske?
Immer wenn ich draußen bin. Und bei uns in Hannover gibt es in einigen Supermärkten auch schon Mundschutzpflicht. In Österreich, Dresden und Jena gilt das ja für den gesamten öffentlichen Bereich.
Würden Sie eine Mundschutzpflicht begrüßen?
Grundsätzlich begrüße ich es, wenn Menschen sich dazu entscheiden, andere Menschen zu schützen. Dabei kann der Mundschutz helfen. Ich möchte mir da aber auch kein Urteil anmaßen und kann die Menschen verstehen, die sagen, dass es ihnen unangenehm ist. Es gibt ja auch noch Fragen zu klären: Wie ist das zum Beispiel im Auto? Darf ich den Mundschutz
da tragen? Wie ist das, wenn ich damit geblitzt werde?
Wie hat die Corona-Pandemie Ihr Leben verändert?
Ich wäre jetzt eigentlich als Markenbotschafter der Robinson Clubs in Thailand. Am Donnerstag wäre ich zum Marathon nach Boston geflogen und direkt danach zum nächsten RobinsonEvent in die Türkei. Stattdessen bin ich jetzt viel zu Hause. Ich genieße diese Entschleunigung aber auch.
Im Tennis sind alle Turniere bis Mitte Juli abgesagt. Das RothenbaumTurnier, das am 13. Juli beginnen soll, steht noch im Terminkalender. Glauben Sie, dass es eine Chance gibt, dass in Hamburg aufgeschlagen wird?
Es wäre schön für die deutschen Tennis-Fans. Aber ich kann es mir nicht vorstellen. Wimbledon wurde abgesagt, das Turnier in Montreal, das im August hätte stattfinden sollen, wurde gerade abgesagt. Und es gibt ja auch Überlegungen, die US Open (24. August bis 13. September, die Red.) zu streichen. Das wäre sicher auch das Aus für Hamburg. Das Problem beim Tennis ist, dass ein fairer Wettbewerb nur stattfinden kann, wenn alle Länder ihre Ein- und Ausreiseverbote aufheben. Und wenn wir in diesem Jahr nicht verreisen können, wird wohl auch der internationale Tennis-Zirkus sehr lange pausieren müssen.
Mit welchen Folgen?
Die Leidtragenden sind die jungen Spieler, die gerade an den Top 100 der Weltrangliste schnuppern. Die können das finanziell nicht überleben. Sie müssen ihre Leute bezahlen, verdienen aber überhaupt kein Preisgeld. Fußballer haben den Luxus, ein sehr hohes Gehalt zu bekommen. In anderen Sportarten gibt es keine geregelten Einkommen. Da geht es um Existenzen.
Alexander Zverev muss sich finanziell keine Sorgen machen, kann aber als Weltranglistensiebter in der Corona-Pause die Lücke nach ganz oben auch nicht schließen. Was fehlt ihm noch zu den großen Helden Federer, Nadal und Djokovic?
Mit 22 Jahren ist Sascha immer noch sehr jung. Trotzdem hat er gegen die drei genannten Spieler schon gewonnen. Der nächste Schritt, also auch bei den Grand Slams erfolgreich zu sein, ist bei ihm nur eine Frage der Zeit. Er hat ein sehr gutes Umfeld, vertraut seinem Team, seiner Familie. Wenn er verletzungsfrei bleibt, wird er den ganz großen Wurf schaffen.
Trotz der Erfolge von Zverev sehen viele Experten das deutsche Tennis in einer Krise. Mit Rudi Molleker (Platz 189) findet sich nur ein einziger deutscher U21-Spieler in den Top 500 der Weltrangliste, bei den Frauen sieht es nicht besser aus. Was läuft da falsch?
Es gibt in Deutschland viele hervorragende Trainer, aber die besten Trainer bringen dir nichts, wenn die Spieler nicht mitziehen. Manchmal fehlen mir die Disziplin und auch das Feuer in den Augen, das du haben musst, wenn du auch im Herren-Bereich erfolgreich sein willst. Biss fehlt, Leidenschaft fehlt, alles dem Sport unterzuordnen.
Haben Sie es mal bereut, dass Sie Ihre Karriere schon mit 32 Jahren beendet haben?
Nie. Ich genieße es, wenn ich mit den Herren 40 beim SCC Berlin spiele und den Nachwuchs dort trainiere. Die Tour vermisse ich nicht. Es war eine schöne Zeit, aber irgendwann kommt ja auch die Zeit danach.
Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde. Einmal noch einen Matchball.
Sie hatten vier im Olympia-Finale im Doppel mit Rainer Schüttler 2004 in Athen, führten 6:2 im Tiebreak.
Ja.
Damals hat die Nation mit Ihnen gelitten, als Sie mit verweinten Augen bei der Siegerehrung standen. Was geht Ihnen heute durch den Kopf, wenn Sie auf Ihre Medaille schauen?
Freude. Wirklich Freude. Es war die dramatischste Niederlage, aber letztlich doch der größte Erfolg meiner Karriere.