„Hamburger Wir“: Jubel bei Seniorenprojekt
MOPO-Leser helfen:
Gesellschaftliche Krisen verändern die Menschen. Bereits jetzt ist auch unter den Hamburgern eine gestiegene Solidarität zu spüren. Verschieben sich gerade unsere Prioritäten? Unsere gesellschaftlichen Werte wird diese Krise nicht erschüttern. Aber sie kann dazu beitragen, dass wir aufgeschobene Dinge wie den Anruf bei Oma wieder nach oben auf unsere To-do-Liste schreiben.
Erst wenn uns Dinge genommen werden, begreifen wir, wie wertvoll sie sind. Dabei geht es nicht um Materielles. Es geht um Liebe zur Familie und zu Freunden, um Freiheit, ein unbeschwertes und selbstbestimmtes Leben.
Auf einmal schauen wir auch hinter die Türen im Hausflur, lernen unsere Nachbarn kennen. Auch der Stellenwert unserer Familie steigt, wenn wir sie nicht mehr einfach so besuchen und in den Arm nehmen können. „Es gibt momentan eine Renaissance der Nachbarschaft und Familie“, bestätigt Zukunftswissenschaftler
Ulrich Reinhardt (49), der eine Professur für Empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste in Heide hat.
Wie wir als Gesellschaft aus dieser Krise gehen, ist auch abhängig davon, wie lange sie anhält: „Wenn in acht Wochen alles vorbei wäre, werden wir so weitermachen wie vorher. Vielleicht blicken wir mal zurück und sagen: Weißt du noch damals“, sagt Reinhardt. Ein Wandel der Normen und Werte in unserer Gesellschaft wäre also zu groß gedacht. „Aber ein sozialer Wandel ist denkbar“, sagt er. „Man hilft sich wieder. Viele haben verstanden, dass es nur gemeinsam geht“, sagt Reinhardt. Die Chancen stehen also gut, dass die Solidarität zumindest im Lokalen nach der Krise anhält.
Auch lernen viele Hamburger jetzt die Arbeit im Homeoffice kennen. Die Flexibilität steigt, der Arbeitsweg fällt weg. Für einige Unternehmen könnte sich eine Mischform zwischen Büro und heimischem Schreibtisch lohnen. „Sowohl Arbeitnehmer also auch Arbeitgeber haben gelernt, dass Meetings über Skype eine Alternative sein können“, so Reinhardt. Früher galt es als Statussymbol, morgens geschäftlich in München und abends wieder in Hamburg zu sein. Eine Priorität, die es zu verschieben gilt.
„Das Digitale sollte aber weiter nur eine Ergänzung und kein Ersatz des Sozialen sein“, sagt Reinhardt. Der Kontakt verbessert sich, trotz Kontaktverbot. Das sollten wir beibehalten, aber anstelle eines Telefonats mit der Oma lieber einen schönen Kaffee gemeinsam genießen.
Jeder wird anders aus dieser Krise hervorgehen. „Die einen werden fürs Leben gekennzeichnet sein, vielleicht haben sie einen geliebten Menschen oder ihre Existenz verloren“, sagt Reinhardt. „Die anderen mussten nur ihren Urlaub verschieben.“Egal wie stark einen diese Krise trifft, den Zusammenhalt und die Unterstützung dürfen wir auch nach Corona nicht vergessen. Hat man sich erst einmal kennengelernt, ist es schwer, das wieder rückgängig zu machen.
In einem Harburger Pflegeheim sind seit Anfang April sieben Bewohner an den Folgen einer Covid-19-Infektion gestorben. 38 weitere Bewohner der K&S Seniorenresidenz Harburger Sand und 15 Pflegekräfte seien infiziert, sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) gestern. In dem Heim leben fast 200 Senioren, einige leiden an Demenz.
Es sei mitunter nicht einfach, diese Menschen auf Sars-CoV-2 zu testen, sagte die Senatorin. „Die Bewohner verstehen das nicht, wehren sich dagegen.“Es würden aber keine Zwangsmaßnahmen ergriffen. „Wir behandeln sie so, als seien sie positiv getestet.“
Insgesamt gebe es in knapp 20 Prozent der 150 Hamburger Alten- und Pflegeheime Corona-Fälle; 234 Bewohner seien betroffen. „Pflegeheime machen uns durchaus Sorge“, sagte Prüfer-Storcks. „Wir tun alles, um hier zu isolieren und die Versorgung sicherzustellen – auch mit Personal, das wir dann von außen zusätzlich heranbringen.“Auch habe die Ausstattung der Pflegeheime mit Schutzkleidung für sie „absolute Priorität“.
Zuletzt wütete die Covid19-Erkrankung vor allem in einer Einrichtung in Wellingsbüttel – dort gab es rund 50 Infizierte, außerdem mehrere Tote.
Problematisch ist die Situation auch in einigen Pflegeheimen im Hamburger Umland. In Rümpel (Kreis Stormarn) sind 53 von 70 Bewohnern in einem Pflegeheim positiv auf das neuartige Coronavirus getestet worden. Bisher seien aber keine schweren Erkrankungen festgestellt worden. Auch 19 von 58 Mitarbeitern seien infiziert.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) verteidigte die Entscheidung, dass auch infizierte Pflegekräfte weiterhin in der Einrichtung infizierte Bewohner betreuten. Dies liege daran, dass Demenzkranke auf vertraute Pflegekräfte angewiesen seien. Dieses Vorgehen entspreche den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts.