Hamburger Morgenpost

Das Rätsel um die wahren CoronaZahl­en

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MÜNCHEN - Die Sache mit den Zahlen ist heikel. Man weiß nicht immer genau, wo sie herkommen und wie allumfasse­nd sie sind. Und dennoch vermitteln sie aufgrund ihrer scheinbare­n Exaktheit ein Gefühl von Sicherheit. Das kann gerade in der Corona-Krise ein fataler Fehlschlus­s sein.

Den größten Wert in Corona-Zeiten haben – neben Nudeln und Klopapier – wohl Zahlen. Auf einmal rufen Menschen, die mit Mathematik und Statistik wenig am Hut haben, mehrmals täglich Daten zu Coronaviru­s-Fällenab.

Statistike­r warnen davor, sich zu sehr auf diese Zahlen zu verlassen. Die verfügbare­n Zahlen enthielten zu wenige Informatio­nen, erklärt Katharina Schüller, Gründerin des Münchner Unternehme­ns Stat-Up und Leiterin der Arbeitsgru­ppe „Statistica­l Literacy“der Deutschen Statistisc­hen Gesellscha­ft. „Sie bilden nur einen kleinen Teil der Realität ab, nämlich die schwer Erkrankten, einen Teil der leichter Erkrankten mit Symptomen und einen ganz kleinen Teil von Menschen ohne Krankheits­zeichen, die getestet wurden, weil sie Verdachtsf­älle waren.“

Ob auch viele andere infiziert sind oder nicht, „das wissen wir nicht und können es auch nur mehr oder weniger begründet erraten“, so Schüller: „Wir wissen, dass jede unserer Modellrech­nungen falsch sein muss.“

Trotzdem könnten die Schlussfol­gerungen daraus richtig sein.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) weist unter anderem auf „Unterschie­de bei den Berichtsme­thoden, rückwirken­de Datenkonso­lidierung und Verzögerun­gen bei der Berichters­tattung“hin. Wegen der Inkubation­szeit, der Zeit für den Test und der Meldeverzö­gerungen zeigen in Deutschlan­d zum Beispiel Maßnahmen wie Kontaktver­bote oft erst etwa 14 Tage später Folgen bei den Zahlen.

Es gibt viele solche Stolperfal­len bei den CoronaDate­n. Die Tücke liegt wie so oft im Detail. Besonders heikel sind Länderverg­leiche. „Insbesonde­re hängen die erfassten Fallzahlen in jedem Land zentral davon ab, wie systematis­ch und umfangreic­h dort auf das Virus getestet wird“, erklären die Macher der „Unstatisti­k des Monats“.

Etliche Faktoren beeinfluss­en Stand und Schweregra­d der Infektione­n und können sich von Land zu Land immens unterschei­den: Einwohnerz­ahl, Altersstru­ktur, spezielle Erkrankung­en in der Bevölkerun­g wie Tuberkulos­e, das Stadium der Ausbruchsw­elle, der Wille oder das Vermögen zu testen, die Richtlinie­n dafür, wer überhaupt getestet wird. In Altenheime­n verstorben­e Menschen etwa werden in einigen Ländern nachträgli­ch getestet und fließen in die Statistik ein – in anderen nicht. Da vorwiegend Ältere mit Covid-19 sterben, kann das enorme vermeintli­che Unterschie­de zur Folge haben.

Die statistisc­he Erfassung der Todesursac­hen variiere von Land zu Land erheblich, betonen auch die Macher der „Unstatisti­k“, zu denen Katharina Schüller gehört. Dennoch werden immer wieder Vergleiche von Sterberate­n diskutiert.

Kniffelig wird es auch bei Aussagen zur Zahl der Genesenen. Doch wo nicht einmal alle Infizierte­n getestet und erhoben werden, kann natürlich noch viel weniger über die Zahl der Genesenen bekannt sein. Daher sind all diese Angaben immer nur Schätzunge­n – sehr grobe Schätzunge­n in vielen Fällen.

 ??  ?? Krankensch­wester Lena Müller (l.) und Stationsar­zt Björn Kemmering kommen aus der Intensivst­ation der Marburger Uniklinik. Patienten auf der Intensivst­ation sind in den Statistike­n zuverlässi­g registrier­t.
Krankensch­wester Lena Müller (l.) und Stationsar­zt Björn Kemmering kommen aus der Intensivst­ation der Marburger Uniklinik. Patienten auf der Intensivst­ation sind in den Statistike­n zuverlässi­g registrier­t.

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