Machen es die Schweden doch besser?
Deutschland hält am Lockdown fest. Ein Land ging einen anderen Weg
BERLIN - Schweden ist momentan ein Sehnsuchtsort für viele: Die meisten Läden und Schulen sind geöffnet und die Infektionszahlen steigen anscheinend nicht schneller als anderswo. Haben die Skandinavier mit ihrem Verzicht auf drastische Maßnahmen etwa recht gehabt? Das kommt auf den Blickwinkel an.
Während in Deutschland und dem Rest Europas darüber gestritten wird, wann und wie ein „Exit“aus dem Stillstand zu organisieren ist, kennt das skandinavische Land dieses Problem nicht. Der sozialdemokratische Regierungschef Stefan Löfven hatte zu Beginn der Krise weitgehend auf strenge Maßnahmen verzichtet. Außer bei Gymnasien, Universitäten und Berufsschulen gab es dort keine Schließungen. Einzige gesetzlich verordnete Maßnahme: ein Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen und ein Verbot für Veranstaltungen mit mehr als 49 Menschen. Dazu kamen lediglich „Empfehlungen“der Regierung, wie beispielsweise auf Reisen zu verzichten oder im Homeoffice zu arbeiten.
Die Bilanz fällt gemischt aus: So scheint die Zahl der täglichen Neuinfektionen nicht wesentlich anders zu verlaufen als im Rest Europas. Insgesamt sind bisher etwa 12000 Menschen in dem zehn Millionen Einwohner zählenden Land positiv getestet worden. Die
Zahl der Neuinfektionen lag am 8. und 9. April mit jeweils mehr als 700 neu gemeldeten Fällen auf dem Höhepunkt. Seitdem geht es runter: In den vergangenen Tagen lagen die gemeldeten Fälle meist bei weniger als 500 pro Tag.
Ganz anders sieht es allerdings bei den Todesfällen aus. Am Mittwoch zählten die Behörden 1203 Verstorbene. Rechnerisch bedeutet das: Jeder zehnte an Covid-19 erkrankte Schwede stirbt. Zum Vergleich: In Deutschland stirbt nur jeder 42. Erkrankte. Auch in den anderen skandinavischen Ländern ist die Quote deutlich niedriger.
Schweden hält trotzdem an seinem Weg fest: „Menschen zu Hause einzusperren wird auf lange Sicht nicht funktionieren“, sagt Schwedens Chefvirologe Anders Tegnell. „Früher oder später werden die Leute sowieso rausgehen.“Der Experte hält lediglich zwei Regeln für wichtig: Ältere und gesundheitlich vorbelastete Menschen sollen so gut wie möglich isoliert werden. Und: Jeder, der bei sich auch nur die geringsten Symptome feststellt, soll zu Hause bleiben. Tegnell: „Wenn wir diese Regeln befolgen, brauchen wir keine weiteren Maßnahmen.“Der Weg der rot-grünen Minderheitsregierung bleibt trotzdem umstritten. Der Chefarzt
einer großen Klinik warnte jüngst anonym im renommierten „Time“-Magazine vor einem drohenden „historischen Massaker“in Schweden. Selbst die Regierung versucht sich abzusichern: Gemeinsam mit der konservativen Opposition handelt sie gerade ein Gesetz aus, dass ihr erlauben würde, Einrichtungen kurzfristig zu schließen.
Doch möglicherweise wird das nie passieren, denn Schweden ist in gewisser Weise einzigartig: Es ist dünn besiedelt, hat nur wenige Ballungszentren, und mehr als 50 Prozent der Einwohner leben in Ein-Personen-Haushalten. Da hat es das Virus schwer.