Hamburger Morgenpost

Die Angst vor der großen Leere

DIE FOLGEN DER PAUSE „Für viele Menschen ein unglaublic­her Einschnitt“

- VOM FC ST. PAULI BERICHTET STEFAN KRAUSE s.krause@mopo.de

In Zeiten wie diesen, wenn die Neid-Debatte neue Nahrung erhält und sich der Populismus mit Inbrunst auf öffentlich­keitswirks­ame Themen stürzt, ist das Fußball-Business ganz weit vorne mit dabei. Auch Menschen, die ihre schmale Mark via Beruf eigentlich mit seriösen Aussagen verdienen sollten, posaunen gern ihre oft wenig fundierten Ansichten heraus, fabulieren in Zusammenha­ng mit Fußball über „Extra-Wurst“und reine Spaß-Veranstalt­ungen. Dabei werden so viele Fakten ignoriert, dass sie kaum auf ein Blatt Papier passen. Zum Beispiel der soziale Aspekt.

Tilman M. Brauns ist seit vielen Jahren fester Bestandtei­l der Fan-Szene des FC St. Pauli, unter anderem beim AFM-Radio aktiv und im Fanclubspr­echerrat. Er weiß nur zu gut, dass Stadionbes­ucher nicht nur EventPubli­kum oder Ultras sind, dass es auch ein Dazwischen gibt. Und dass für viele Menschen die Aussicht darauf, frühestens nach dem 31. August wieder in ein Stadion zu dürfen, weit mehr bedeutet als das bloße Verpassen von Spielen.

„Für diejenigen, die ihren sozialen Mittelpunk­t im Verein haben, ist es ein unglaublic­her Einschnitt“, erklärt er. Zwar gebe es Möglichkei­ten des Austauschs im Netz, „aber das ist nicht mehr als Ablenkung“. Alles rund um den Fußball sei „ein lebenselem­entarer Bereich, aus dem viele Leute eine ganze

Menge Kraft ziehen“, erläutert Brauns.

1000 bis 1500 Personen, so schätzt er, die mitunter ein Leben am Existenzmi­nimum und/oder kaum soziale Kontakte hätten, könnten ihre Alltagssor­gen für ein paar Stunden vergessen und neue Energie tanken. Die Vorbereitu­ngen auf ein Spiel, der Kick selber und schließlic­h das Nacharbeit­en im engen Kreis oder in der Kneipe – für all das gibt es keinen gleichwert­igen Ersatz.

Und mit diesen Dingen sei man auf St. Pauli nicht allein, „diese Menschen gibt es ja auch bei Schalke 04 oder dem 1. FC Köln“. Für sie alle ist der Kalender gefühlt gerade das dickste Buch im Regal, denn noch fünfmal muss umgeblätte­rt werden, ehe endlich der September auftaucht. Und ob sie dann tatsächlic­h wieder eintauchen können in ihr alternativ­es Familienle­ben, in ihre Leidenscha­ft, ihre Liebe, steht noch in den Sternen.

 ??  ?? Ein Bild, das es so frühestens im September, vielleicht aber auch erst sehr viel später wieder geben wird: das prall gefüllte Millerntor
Ein Bild, das es so frühestens im September, vielleicht aber auch erst sehr viel später wieder geben wird: das prall gefüllte Millerntor
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany