Absturz einer Boom-Branche
Die Kreuzschifffahrt leidet massiv unter den Auswirkungen der Corona-Krise: Reedereien, Werften und Zulieferer in Not
Kaum eine Branche ist in den letzten Jahren so gewachsen wie die der Kreuzfahrt. Allein Hamburg hatte im vergangenen Jahr 900000 Kreuzfahrtpassagiere zu verzeichnen – zehn Mal so viele wie 2008.
Doch jetzt kommt der gnadenlose Absturz. Sinkende Aktienkurse, stornierte Reisen, Passagiere in Quarantäne: Die Kreuzfahrtbranche leidet massiv unter der aktuellen CoronaKrise – und noch ist kein Ende in Sicht. Wird die Branche sich jemals wieder erholen?
Die Kreuzfahrt und der Norden gehören einfach zusammen: Nicht umsonst ist der Hamburger Hafen der Heimathafen der Kreuzschifffahrt. Und wer kennt sie nicht, die Rostocker Reederei Aida Cruises, Marktführer bei den Kreuzfahrten. Zahlreiche Werften, Unternehmen, Touristenbüros und Zulieferer haben sich auf diese Branche spezialisiert. Zigtausende Arbeiter in Norddeutschland verdienen mit der Kreuzfahrt ihr tägliches Brot. Umso größer trifft den Norden dieser Schock: Die Branche ist am Boden.
Die Aktienkurse der Kreuzfahrtanbieter erleben ein neues Tief. Seit Februar befinden sich die Werte im freien Fall. Die Aktie des Kreuzfahrtunternehmens Carnival Corporation – dazu gehört auch Aida Cruises – hat seit Januar 81,7 Prozent an Wert eingebüßt. Mit einem Wert von 7,53 Euro erreichte sie im April ein nie gesehenes Tief. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich bei den Aktien der Kreuzfahrtanbieter Norwegian Cruise Line oder Royal Caribbean Cruises.
Fakt ist, dass derzeit keine Kreuzfahrten möglich sind. Und es ist auch nicht absehbar, wann es wieder so weit sein wird. Denn nicht umsonst wurde das Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“zum ersten großen Infektionsherd. Unzählige Menschen leben über Wochen auf engstem Raum zusammen. Alleine auf der „Diamond Princess“befanden sich 3700 Passagiere und Crew-Mitglieder – beste Bedingungen für die Ausbreitung des Virus. Zusätzliche
Gefahr ist das hohe Durchschnittsalter der Gäste. Deshalb befinden sich derzeit alle 14 Schiffe von Aida Cruises an Liegeplätzen und auch die Kreuzfahrtschiffe der MSC sind, bis auf die heimkehrende „MSC Magnifica“, nicht mehr auf See. Beide Reedereien haben alle Fahrten bis Ende Mai abgesagt.
Wann und in welcher Form der Betrieb wieder aufgenommen wird, kann keiner genau sagen – eine schwierige Situation, auch für die Crew. „Wir bemühen uns, insbesondere in diesen schwierigen Tagen, die Zeit an Bord für unsere Crew so angenehm wie möglich zu gestalten“, versichert die Sprecherin von Aida Cruises, Kathrin Heitmann. Dennoch wünschten sich einige die Rückkehr nach Hause, die aber aufgrund der restriktiven Ein- und Ausreisebestimmungen schwierig sei.
„Die Kreuzfahrtbranche spürt die Auswirkungen in der Corona-Krise massiv. Die Schiffe liegen vor Anker und verdienen kein Geld“, berichtet Heiko Messerschmidt, Pressesprecher der Industriegewerkschaft Metall (IGM) Küste. Entscheidend sei jetzt, dass die Reedereien ihre Aufträge nicht stornieren und finanziell durchhalten.
Dafür hätten bereits mehrere Regierungen in Europa die Aussetzung der Schuldentilgung für Exportkredite angekündigt. „So lassen sich hoffentlich auch bei Werften und Zulieferern Arbeitsplätze und Standorte hal
ten“, sagt Messerschmidt. Denn die Krise macht sich auch dort deutlich bemerkbar.
Doch nicht nur die Reedereien sind die Leidtragenden dieser Krise. Die Auswirkungen treffen Hamburg und den ganzen Norden. Die Passagiere nutzen während, aber auch vor und nach ihrer Kreuzfahrt die Hamburger Restaurants und Bars, Hotels, kulturelle Angebote und noch viel mehr. Aber nicht nur die Tourismusbranche profitiert von der Kreuzfahrt. Bei 900 000 Passagieren im Jahr kann man sich vorstellen, dass noch unzählige weitere Jobs daran hängen. Denn schließlich muss sich auch jemand um die Verpflegung der Gäste kümmern, Künstler gestalten das Bühnenprogramm an Bord, Floristen sorgen für das richtige Ambiente, Zulieferer befüllen On-Board-Shops, und Kreuzfahrtterminals müssen natürlich auch mit ausreichend Personal ausgestattet sein. Nicht zu vergessen die Schiffbauindustrie, welche die Ozeanriesen baut und repariert.
„Die Auswirkungen treffen uns nicht so kurzfristig wie zum Beispiel den Friseur. Dort bleiben zwar jetzt die Kunden weg, die kommen aber nach dem Exit auch sofort wieder. Bei uns ist das andersherum: Mit einem gewissen Zeitverzug schlägt die Krise in der Schiffbauindustrie umso härter zu“, prognostiziert Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). „Wir arbeiten vorhandene Aufträge ab. Neue Bestellungen werden aber erst mal nicht kommen. Und wenn dann ein Schiff in Auftrag gegeben wird, sei erst eine lange Planungsphase nötig, bevor es nach ein, zwei Jahren in die Produktion gehen kann.“
„Wir rechnen mit einer lang anhaltenden schwachen Nachfrage, und deshalb müssen wir uns schon jetzt mit der Situation auseinandersetzen“, erklärt Lüken. 200 000 Jobs, Zulieferer mit einbezogen, umfasse die Schiffbauindustrie, drei Viertel davon seien mit dem Bau ziviler Schiffe beschäftigt.
Zahlreiche Reedereien nutzten zwar die Zeit, um ihre Schiffe instand setzen zu lassen, das sei aber nicht vergleichbar mit dem Bau eines Ozeanriesen. Thomas Weigend, Geschäftsführer der Meyer-Gruppe, erklärt in einem Video auf ihrer Internetseite, welche Auswirkungen die Lage im Kreuzfahrtmarkt auf die Werft hat. Sie werden versuchen, das aktuelle Auftragsbuch auf allen Standorte zu strecken – eine Anpassung, welche zu einer Kürzung der Arbeitsleistung um rund 40 Prozent führen würde.
Wir bemühen uns, die Zeit an Bord für unsere Crew so angenehm wie möglich zu gestalten. Aida-Sprecherin Kathrin Heitmann