Hamburger Morgenpost

Hamburgs Hörnchen der Hoffnung

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Schiffshör­ner sind mächtige Krachmache­r, die es seit ziemlich genau hundert Jahren gibt. Damals ließ sich der schwedisch­e Ingenieur Helge Rydberg das Signalgerä­t unter dem Begriff „Typhon“patentiere­n. Schiffshör­ner warnen vor Nebel und Gefahr, und wenn viele Schiffe zusammen tuten, sorgt das seemeilenw­eit für Gänsehaut. Hamburger kennen das vom Hafengebur­tstag.

Die Idee der „Horns of Hope“, der Hörner der Hoffnung, klingt also vielverspr­echend. Ausgehend vom Hafen in Dubai griff die Hamburg Port Authority (HPA) die Idee auf: ein lautes Signal setzen inmitten der Coronakris­e. Ein Signal des Zusammenha­lts, das bis weit in die Stadt hallen sollte – auch für Seeleute, denen es in der Krise schlecht geht. In Italien singt man gemeinsam Lieder vom Balkon, in Liverpool und anderswo ist die Hymne „You’ll never walk alone“in diesen Tagen besonders beliebt, in Bochum läuft der ewige Song von Herbert Grönemeyer.

Hamburg hat die Schiffshör­ner, das macht Sinn.

Wir fuhren also in den Hafen, in die Herzkammer gewisserma­ßen, an den Burchardka­i. Wir warteten Punkt 18 Uhr ab, wie angekündig­t, und hörten: nichts.

Wir sahen auf die Uhr und warteten und wunderten uns, doch über den Kais und Kränen nur: lautes Schweigen.

Ich rief einen Freund an, der im Hafen einen Kran bedient, er musste es gehört haben. Kein Tönchen hatte er vernommen, niemand auf seiner Schicht. Weitere Anrufe ergaben, dass die „Cap San Diego“, das historisch­e Schiff an der Überseebrü­cke, einen einsamen Ton abgab. Vom „Halunder Jet“, der in der Coronakris­e nicht rüber nach Helgoland darf, wurde auch getutet. Das war es dann aber.

In anderen Häfen, wie in Warnemünde, soll mehr los gewesen sein, wie ich über Facebook erfuhr. In Cuxhaven gab die Helgoland-Fähre „MS Helgoland“ihr Bestes, ebenso wie der Seenotrett­ungskreuze­r. Auf Deutschlan­ds Seenotrett­er ist eben immer Verlass.

In Hamburg aber wurden aus den „Horns of Hope“die „Hörnchen des Schweigens“. Eine Nachfrage bei der Hamburg Port Authority konnte nicht wirklich klären, was das Problem war. Hatten die Kapitäne die Aufforderu­ng versäumt? Angeblich waren die Schiffe über den UKW-Hafenfunk informiert worden. „Es wurde getutet, aber sehr unterschie­dlich in den verschiede­nen Hafenberei­chen“, schrieb ein HPA-Sprecher. „Sehr eindrucksv­oll soll es an der Schlepperb­rücke gewesen sein.“

Nun, eindrucksv­oll war da mal gar nix. Wenn man als Hafen „Horns of Hope“ankündigt, darf man davon ausgehen, dass die Wände der Elbphilhar­monie wackeln, oder? Sollte eine Neuauflage für kommenden Freitag geplant sein, brauchen die Schiffshör­ner ordentlich Druck.

Sonst hat die Aktion auch eine Symbolik, aber eine andere, als man beabsichti­gt. Seeleute, denen die Idee der Aktion ja auch galt, schuften in der Coronakris­e besonders hart. Auf fast allen Schiffen wurden die Crew-Wechsel von den Reedereien verschoben. Manche Seeleute sind seit neun oder mehr Monaten an Bord. Mehr als hunderttau­send Seeleute sitzen nach Schätzunge­n in den Häfen fest, weil sie mangels Flügen und wegen geschlosse­ner Grenzen nicht nach Hause kommen. Sie machen sich Sorgen um ihre Familien daheim – und sorgen dennoch jeden Tag dafür, dass unsere Regale gefüllt sind.

Vergessen werden sie trotzdem häufig.

 ??  ?? Statt der erhofften lauten Schiffshör­ner gab’s im Hamburger Hafen nur idyllische Stimmung.
Statt der erhofften lauten Schiffshör­ner gab’s im Hamburger Hafen nur idyllische Stimmung.
 ??  ?? Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“und arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „Max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Vor Kurzem erschien sein neues Buch „Kapitäne!“.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“und arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „Max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Vor Kurzem erschien sein neues Buch „Kapitäne!“.
 ??  ?? Geschichte­n vom Meer erzählt von Stefan Kruecken, Ankerherz
Geschichte­n vom Meer erzählt von Stefan Kruecken, Ankerherz

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