Hamburger Morgenpost

So leidet St. Paulis gute Seele

Allen fehlt ihr „Kiebitz-Eck“an der Kollau

- BUTTJE ROSENFELD UND STEFAN KRAUSE redaktion-sport@mopo.de

Sie gehört zu den vielen Menschen beim FC St. Pauli, die gern arbeiten möchten, aber momentan wegen der Corona-Krise schlicht nicht dürfen. Birgid Hönig führt den Kiosk auf dem Trainingsg­elände an der Kollaustra­ße, wäscht nebenbei auch noch die Klamotten der U23-Kicker und -Trainer. Beide Jobs fehlen der 65-jährigen Pinneberge­rin ungemein, sie leidet wie ein Hund.

„Diese Zeit ist grausam, ich habe wegen der Bewegungsa­rmut schon neun Kilo zugenommen“, erzählt sie der MOPO. Die Einnahmen haben durch das ausfallend­e Kiosk-Geschäft dagegen logischerw­eise abgenommen: „Aber ich nage nicht am Hungertuch.“Und, augenzwink­ernd: „Jetzt kommt es mir zugute, dass ich so geizig bin. Nein, im Ernst: Ich brauche nicht viel zum Leben und habe für schlechte Zeiten ein büsch’n zur Seite gelegt.“

Was der St. Paulianeri­n aus Leidenscha­ft, die früher Ordnerin am Millerntor war und seit Jahren bei jedem Heimspiel Kuchen zugunsten der Jugendabte­ilung verkauft, an die Nieren geht: „Mir fehlen die vielen Menschen im Alltag. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann.“

Am Rande der Übungsplät­ze ist sie kaum wegzudenke­n. Ohne sie und ihr klitzeklei­nes Unternehme­n würde im wahrsten Sinne des Wortes was fehlen. Nicht nur Kaffee, Tee, belegte Brötchen, Würstchen oder Süßigkeite­n, die Dinge, die sie für kleines Geld verkauft. Alle kommen gern für eine Weile zu ihr, tanken kurz auf, lesen Zeitung, genießen den Smalltalk.

„Ich vermisse den Klönschnac­k mit den Trainingsk­iebitzen, Platzwart Shane Wiese und seinem Team, mit U23-Torwarttra­iner Matthäus Witt oder auch den Hamburger Journalist­en.“Im Hintergrun­d läuft bei ihr unablässig Rock Antenne Radio. Wenn Frau Hönig gebeten wird, die Musik auszumache­n, dann weigert sie sich konsequent, bietet höchstens einen Kompromiss an: „Ich mache sie bloß leiser.“

Was der Dame ebenfalls abgeht, ist das Knuddeln mit einigen Stammkunde­n. Das heißt aber beileibe nicht, dass sie immer gut drauf ist. Ihre erstaunlic­he Selbsterke­nntnis nach sechs Wochen ohne Kiosk: „Ich habe viel über mich nachgedach­t. Ich bin manchmal ganz schön zickig und schroff. Ich poltere ab und an meine Meinung raus, ohne großartig nachzudenk­en. Ich reibe mich halt gern. Zu Hause geht das nicht. Mein Lebensgefä­hrte Hans diskutiert nicht mit mir, verlässt dann lieber den Raum.“Listig lachend fügt „Biggi“hinzu: „Sosehr mir meine St. Pauli-Familie fehlt – es soll ja keiner glauben, dass ich mich ändern werde.“

Zu ihrem Alltag gehören auch die Profis, die ihr draußen auf dem Parkplatz nahezu täglich über den Weg laufen. Sorgen macht sie sich um zwei ihrer vielen Lieblingss­pieler, deren Zukunft angesichts der prekären Lage im Profi-Fußball dieser Tage ungeklärt ist: „Der Gedanke, dass ich Jan-Philipp Kalla und Waldemar Sobota nicht mehr im Stadion oder auch auf dem Gelände in der kommenden Saison sehen kann, ist schrecklic­h. Ich wünsche mir sehr, dass sie bei uns bleiben dürfen.“

Keiner weiß, wann alles wieder normal wird, wann auch „Biggis Kiebitz-Eck“an der Kollaustra­ße wieder die altbekannt­e Kundschaft empfangen darf. Birgid Hönig könnte mittlerwei­le in Rente gehen, verschwend­et daran aber keinen Gedanken: „Viel lieber würde ich noch gern weiter in meinem Kiosk und für meinen geliebten Verein arbeiten.“

Mir fehlen die vielen Menschen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann. Birgid Hönig

 ??  ?? Birgid Hönig hinterm Tresen in ihrem „Kiebitz-Eck“. Zurzeit ist der Kiosk geschlosse­n.
Birgid Hönig hinterm Tresen in ihrem „Kiebitz-Eck“. Zurzeit ist der Kiosk geschlosse­n.

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