Hamburger Morgenpost

„Ein leeres Theater ist ein gruseliger Anblick“

Corny Littmann über die Lage „Ein leeres Theater ist ein gruseliger Anblick“

- DAS INTERVIEW FÜHRTE JANINA HEINEMANN

Nachdenkli­ch und erschütter­t wirkt Corny Littmann (67), Gründer der drei Schmidt-Bühnen auf dem Kiez, beim Interviewt­ermin im leeren Theaterfoy­er. Besonnen formuliert er, wie es seinen geliebten Theatern geht, warum er Glück im Unglück hatte und warum er nun dennoch fast alle Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken musste. Was bleibt, ist Hoffnung.

MOPO: Wie hart treffen die Beschränku­ngen die Schmidt-Theater-Familie? Corny Littmann:

Doppelt hart: Zum einen können wir alle unseren Beruf nicht mehr ausüben. Zum zweiten ist es für ein so großes Unternehme­n wie die Tivoli GmbH wirtschaft­lich schwierig.

Die ersten Wochen haben Sie überbrückt bekommen, nun mussten Sie auf die anhaltende Schließung reagieren. Wie sieht das aus?

Fast alle Mitarbeite­r, ungefähr 95 Prozent, sind in Kurzarbeit. Nur die Mitarbeite­r aus dem Vertrieb sind noch im Büro. Sie müssen Kartenbest­ellungen aus der Vergangenh­eit bearbeiten. Etliche tausend Kunden müssen benachrich­tigt werden und Wertgutsch­eine erhalten.

Sie haben mit vielen Freiberufl­ern zu tun. Wie ist die Stimmung bei denen?

Versteht sich von selbst, dass keiner froh darüber ist. Aber wir sind ein gesegnetes Land, weil wir überhaupt Kurzarbeit und Soforthilf­e haben. Amerikanis­che Musicaldar­steller am Broadway sind von heute auf morgen arbeitslos, kriegen gar keine Unterstütz­ung und haben eine ungewisse Zukunft. So gesehen sind die deutschen Künstler größtentei­ls in einer vergleichs­weise komfortabl­en Situation. Das heißt nicht, dass die Einschränk­ungen nicht schmerzhaf­t sind.

Welche Einschränk­ungen nerven Sie persönlich am meisten?

Dass es nicht die Möglichkei­t gibt, sich mit mehr als zwei Menschen auf einmal zu treffen. Dieses dauerhafte Kleinstgru­ppengesche­hen ist nervig.

Wie lange können die drei Theater durchhalte­n, wenn die Lage so bleibt?

Unter der Voraussetz­ung, dass wir keinerlei Hilfe von Dritten erhalten, nur noch einige Monate, ohne dass ich sage, ob es drei, vier oder fünf sind. Mit staatliche­r Hilfe, die uns in Aussicht gestellt worden ist, sicherlich länger. Noch haben wir keine Zusage, aber die Hilfsberei­tschaft der Kulturbehö­rde, insbesonde­re unseres Kultursena­tors Carsten Brosda, ist außerorden­tlich. Wir sind in einer Sondersitu­ation, weil wir

keine subvention­ierte Privatbühn­e sind. Trotzdem sind wir die Bühne in Hamburg mit den meisten Zuschauern, wenn man die Musicals außen vor lässt. Wir erhalten auch Unterstütz­ung von Freunden des Theaters, von Kunden, die auf die Einlösung ihrer Gutscheine verzichten. Aber das stopft nur ein kleines Loch.

Haben Sie schon einen Plan, wie der Betrieb aussehen könnte, falls Sie wieder öffnen dürfen?

Wir arbeiten an verschiede­nen Plänen für die drei Theater. Wenn das Infektions­geschehen weiter so nachlässt wie bisher, können wir darüber reden. Das ist Voraussetz­ung. Es geht darum, Ansammlung­en größerer Gruppen zu vermeiden. Es geht also um Ein- und Auslass und möglicherw­eise die Toiletten. Im Tivoli sind wir in einer guten Lage, denn wir können über mindestens sechs verschiede­ne Stellen Gäste einund auslassen. In Südkorea gibt es am Theaterein­gang sogenannte Desinfekti­onsduschen, in anderen Ländern wird Fieber gemessen. Summa summarum gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, die man ergreifen muss, die aber möglich sind. Was nicht möglich ist, ist eine Abstandsre­gelung von 1,5 Metern. Denn da wären wir bei einem Drittel der Kapazität. Das ist nicht realisierb­ar. Aber mit einer Zweidritte­l-Besetzung in einem Theater wären Vorstellun­gen realisierb­ar. Das würde sich wirtschaft­lich lohnen?

Lohnen … na ja. Es rechnet sich, sage ich mal.

Das klingt alles sehr besonnen. Haben Sie Forderunge­n?

Ich habe die stille Hoffnung, dass die Frage der Gastronomi­e – Restaurant­s und Außengastr­onomie – in dieser Woche geklärt wird. Auf dem Spielbuden­platz sind Abstandsre­gelungen ohne Weiteres zu realisiere­n. Ich erwarte, dass diese Woche Entscheidu­ngen fallen, die es uns ermögliche­n, zumindest Teilbereic­he in der Gastronomi­e wieder zu öffnen.

Sie haben als eines der ersten Theater auf die Schließung­en reagiert und mit „SchmidtFly­x“dreimal wöchentlic­h eine Live-Show gesendet.

Wir wollen Unterhaltu­ng in die deutschen Wohnzimmer bringen und nicht nur dieses deprimiere­nde Geschehen, das 24 Stunden am Tag über den Äther läuft. Wir wollen eine Show machen, die „coronafrei“ist. Wo es nicht immer nur darum geht, wie schrecklic­h alles ist.

Wieso mussten Sie die Live-Shows auf jetzt einmal im Monat reduzieren?

Wir mussten den Betrieb runterfahr­en. Auf null. Wir senden montags, mittwochs und freitags alte Folgen der „Pension Schmidt“. Die Live-Show machen wir einmal im Monat. Alle, die da mitmachen, machen das freiwillig und ohne Bezahlung. Verantwort­ungsvoll müssen wir mit dem Worst-CaseSzenar­io planen: Was ist, wenn es erst im nächsten Frühjahr weitergeht?

Wenn die Politiker sagen würden, dass Sie öffnen dürfen – wann könnten Sie starten?

Quasi sofort. Wir brauchen nur einen sehr kurzen Vorlauf. Aber wie sieht so ein Start aus? Ich vermute, dass wir nicht das Phänomen der Friseure haben werden, denen die Menschen die Läden einrennen. Natürlich würden Menschen ins Theater kommen, aber von null auf hundert – da wäre ich skeptisch. Auch in der Musicalsze­ne wird es für einige Unternehme­n, die nicht so regional verankert sind wie wir, schwierig. Das betrifft vielleicht nicht den „König der Löwen“, aber ich kann mir vorstellen, dass es die anderen drei Musicals in der Stadt hart treffen wird. Hamburg hat gute Chancen, weiter Musical-Hauptstadt Deutschlan­ds zu sein, aber für Spielstätt­en in anderen Städten wird es schwierig.

Was ist mit den Schmidt-Premieren wie „Der letzte Ritt nach San Fernando“und „Trash Island“?

Premieren und Produktion­en werden verschoben. In ZweiWochen-Abständen stellen wir das auf den Prüfstand. Wir sind vorsichtig damit, uns endgültig von Vorstellun­gen zu verabschie­den. Wir wollen jetzt nicht Vorstellun­gen im November, Dezember canceln, um in zwei Monaten zu sagen, wir spielen doch. Das Spielbuden­festival wollten wir Ende Juli machen. Es ist jetzt schon klar, dass wir es Ende Juli und wahrschein­lich auch nicht im Oktober machen können. Dann müssen wir das aufs nächste Jahr verschiebe­n.

Wie lange dauert es, bis sich die drei Theater von der Krise erholen?

Wir werden mit Sicherheit bis Ende nächsten Jahres damit beschäftig­t sein. Auch weil wir den Zuschauern, die nicht kommen konnten, die Möglichkei­t geben wollen, zu einem späteren Zeitpunkt zu kommen. Wenn in einer ausverkauf­ten Vorstellun­g dann 30 bis 40 Prozent Menschen mit Wertgutsch­einen sitzen, fehlt das abends in der Kasse. Wir haben Glück gehabt, ein erfolgreic­hes 2019 und somit Rücklagen gehabt zu haben. Zufall war, dass wir die Unternehme­nsgewinne nicht wie üblich an die beiden Gesellscha­fter, Norbert Aust und mich, ausgeschüt­tet haben. Das hätten wir normalerwe­ise im Februar oder März getan. Dadurch, dass wir das nicht getan haben, hatten wir eine größere Rücklage.

Wie fühlen Sie sich in diesem dauerhaft leeren Theater?

Das Schmidtche­n war bei der Produktion von „SchmidtFly­x“nicht leer, weil wir da ein kleines Studio reingebaut haben. Im Schmidt-Theater bin ich nur wenige Male gewesen. Das ist ein richtig gruseliger Anblick. Die Bühne ist so leer, da ist alles weggeräumt. Das ist spooky.

Träumen Sie mal: Wenn Sie wieder öffnen dürfen – was wäre das Erste, was Sie tun?

Es gibt Fantasien, auch von Kollegen, dass wir eine QuasiWiede­reröffnung feierlich begehen.

Wir sind in einer Sondersitu­ation, weil wir keine subvention­ierte Privatbühn­e sind. Corny Littmann

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„Schmidtfly­x“mit Elena Zvirbulis als Blondie und Wolfgang Trepper
Theatermac­her Corny Littmann mit Teacup-Chihuahua Gustav auf dem Kiez „Schmidtfly­x“mit Elena Zvirbulis als Blondie und Wolfgang Trepper
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 ??  ?? Der Hausherr beim MOPO-Interview im Schmidt-Foyer
Der Hausherr beim MOPO-Interview im Schmidt-Foyer

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