„Am Anfang hatte ich einen Zusammenbruch“
Ein Gästeführer über die Zeit ohne Gäste und Geheimtipps auf St. Pauli
Wie ist die Lage?“heißt der fast tägliche Podcast der Gute Leude Fabrik und der Hamburger Morgenpost. Darin spüren wir tagesaktuellen Fragen nach – zu Wort kommen Macher, Musikerinnen, Models, Mütter und Politiker, genau wie Helfer, Schwestern, Schweißer, Freiberufler. Die Auswahl ist rein subjektiv, aber immer spannend und überraschend. In dieser Woche macht das Asklepios möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In Folge sieben spricht PR-Profi Lars Meier mit Stadtführer Marc Müller.
Lars Meier: Du bist ein Stadtführer, der derzeit nicht führen kann. Wie ist denn die Lage? Marc Müller:
Die Lage ist dramatisch. Alle Kollegen leiden, weil kein Tourist in die Stadt kommen kann und wir ein Berufsausübungsverbot haben.
Liegt es auch daran, dass ihr kaum eine Lobby habt? Bei dem Wort „Tourismus“denken viele eher an Hotels und Barkassen.
Da hast du recht, medial kommen die Gästeführer gar nicht vor. Aus diesem
Grund wird es zum Beispiel heute eine kleine Demo von zehn bis elf Uhr auf dem Rathausmarkt geben. Es gibt zwei Gästeführervereine hier in Hamburg und auch den Bundesverband der deutschen Gästeführer. Man sagt, dass hinter den Kulissen mit der Regierung gesprochen wird. Aber das dringt zu uns nicht durch. Ich habe den Eindruck, wir verschwinden in der Masse.
Wie sieht deine persönliche Situation aus?
Am Anfang hatte ich eine Art Zusammenbruch. Innerhalb einer Woche hatte ich Ausfälle von knapp 10000 bis 15 000 Euro netto an gebuchten Aufträgen. Dann kamen die Corona-Zuschüsse. Das war toll, was die Bundesregierung und die Stadt geleistet haben. Langfristig wird es wohl nicht ausreichen, aber kurzfristig haben die Zuschüsse geholfen. Dann habe ich natürlich die CoronaGrundsicherung beantragt. Das heißt, meine Miete wird bezahlt, und ich muss nicht ausziehen. Dann muss ich schauen, wie es weitergeht. Aber seitdem bin ich befreiter.
Was für ein Typ Stadtführer bist du?
Ich sag’s mal ganz platt: Ich gehe nicht im Fummel. Das ist nicht negativ gemeint, ich wohne selbst auf St. Pauli und liebe die Leute. Für mich mag ich das aber nicht. Ich mache Stadtführungen mit Wissen, erzähle Geschichten und zeige Kleinigkeiten, die nicht alle sehen. Als Feedback bekomme ich häufig: „Also Sie leben doch die Stadtführung.“
Führst du nur auf deinem Kiez oder kannst du auch in Richtung Ohlsdorfer Friedhof gehen?
Ich habe auf St. Pauli angefangen. Aber da haben wir viele Mitbewerber, das muss ich nicht machen. Ich habe tatsächlich mehrere Führungen, der Ohlsdorfer Friedhof ist gerade in der Mache, genauso wie Harburg. Ansonsten die Standard-Stadtteile wie die Innenstadt, HafenCity oder die Schanze, aber ich mache auch St. Georg, Eppendorf und Wilhelmsburg. Ich denke, dass ich ganz gut aufgestellt bin.
Hast du einen Lieblings-Geheimtipp für St. Pauli?
Der Stadtteil ist in vielen Bereichen schon entdeckt. Ich wohne im Karoviertel, da gibt es kleine Kneipen und schöne Seitenstraßen.
Wie nutzt du selbst die Zeit gerade?
Ich bin einer der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft St. Pauli. Da wurde eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der sich Gastronomen und Geschäftsleute austauschen und bei den Anträgen unterstützen können. Und ich bin beim LionsClub St. Pauli, wir packen jeden Mittwoch Taschen mit Essen für Schulkinder. Donnerstags werden die Taschen an Sammelstellen auf St. Pauli und der Veddel verteilt. Die Lebensmittel werden mit Spenden auf das Lions-Förderkonto bezahlt, und wir bekommen Frisches zu fairen Preisen von einem Bauern.
Was wirst du zuerst tun, wenn die Einschränkungen vorbei sind?
Natürlich werde ich mein Business wieder hochfahren. Aber erst mal müssen die Gäste kommen. Ich werde am Anfang nicht nur vom Tourismus leben können. Ich versuche gerade, ein zweites Standbein zu entwickeln.