Neue Kluft zwischen Arm und Reich
Das Homeschooling in Corona-Zeiten hängt sozial benachteiligte Schüler weiter ab
HANNOVER - Digitales Lernen ist die Zukunft, darüber sind sich Bildungsexperten einig. Doch längst nicht alle Familien haben einen Computer, ein Tablet oder auch nur leistungsfähiges Internet zu Hause. Das führt dazu, dass beim Homeschooling oft Schüler aus sozial benachteiligten Familien auf der Strecke bleiben.
Nach zwei Monaten „Homeschooling“beginnt an den meisten deutschen Schulen wieder so etwas wie Alltag – wenngleich auch nur sehr zögerlich. Laut Bundesbildungsministerin Anja Karliczek könnte der Ausnahmezustand bis weit ins nächste Schuljahr andauern. Die Befürchtung vieler Bildungsexperten: Digitales Lernen vergrößert die ohnehin schon nicht ganz unbeträchtliche Ungleichheit in Sachen Bildungschancen.
Ein wichtiger Grund ist die fehlende Technik. Weil es den Schulen an Geräten mangelt, die sie an die Schülerschaft weitergeben können und die Politik eine Anschaffungsprämie von 150 Euro für ein Tablet oder Laptop für ausreichend hält, müssen sich die Familien selbst kümmern: um Laptops, Tablets, Drucker oder auch nur eine stabile WLANVerbindung. Nur wer die „technische Infrastruktur“hat, kann auch die „Vorzüge“des digitalen Lernens nutzen: Videokonferenzen mit der Klasse, digitale Hausaufgabenkontrolle oder Lernvideos auf Youtube.
Erschwerend kommt grundsätzlich aber hinzu: Deutschland ist ein echter Spätzünder in Sachen digitaler Bildung. Die digitale Infrastruktur an vielen Schulen ist immer noch marode. Nicht wenige verfügen noch nicht einmal über ein stabiles WLAN-Netz, geschweige denn über das entsprechende Equipment, um digitale Bildung auch im realen Klassenzimmer zu leben.
Da stellt sich die Frage: Wenn also schon die digitale Infrastruktur vor Ort, sprich in den Schulen, störanfällig bzw. oft nicht leistungsfähig ist, wie soll es da erst mit dem Unterricht im virtu
ellen Klassenzimmer klappen? Vor allem vor dem Hintergrund, dass die unterschiedlichen sozialen Verhältnisse der Familien mit schulpflichtigen Kindern an dieser Stelle noch nicht mal gesondert hervorgehoben sind.
Laut einer aktuellen Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) sind gerade in sozial benachteiligten und bildungsfernen Familien die Lernvoraussetzungen schwierig. Die Kinder haben seltener ein eigenes Zimmer zum Lernen oder einen Computer zum Arbeiten als ihre Klassenkameraden aus besser situierten Familien. In Zahlen ausgedrückt, wird das Missverhältnis deutlich: Nur etwa 15 Prozent der Zwölfjährigen und 27 Prozent der 14-Jährigen aus Hartz-IV-Haushalten besitzen einen eigenen Rechner, der auch für die Schule genutzt werden kann. Unter allen Zwölfjährigen sind es knapp 28 Prozent, unter allen 14-Jährigen fast 42 Prozent. Keine Unterschiede gibt es dagegen beim
Willen: Neun von zehn Schülern werden laut IW-Umfrage regelmäßig von ihren Eltern zum Lernen motiviert. Bei den „sozial benachteiligten“Familien ist der Anteil sogar noch etwas höher.
Diese Situation betrifft in großen Teilen auch die Generation Z, die 13bis 24-Jährigen. In einer aktuellen Studie des Messaging-Dienstes Snapchat wurden die psychologischen Auswirkungen der CoronaKrise auf die Gen Z in Deutschland untersucht. Im März 2020 wurden über 1000 deutsche Snapchat-Nutzer im Alter von 13 bis 24 Jahren befragt: 39 Prozent der Befragten sind besorgt um ihre Bildung. Für viele geht es um den erfolgreichen Schulabschluss oder auch um den Berufseinstieg. Die Studie von Snapchat zeigt zudem, dass Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine deutlich entscheidendere Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung zugeschrieben werden könnte als bisher. Dazu bräuchte es aber gleiche Chancen.