Hamburger Morgenpost

„Alles, was jetzt passiert, ist eine Lotterie“

Ex-HSV-Profi Mergim Mavraj spricht über den Neustart am Sonntag

- SIMON BRAASCH s.braasch@mopo.de

Hätten sie wie geplant vor zwei Monaten gespielt, wäre Mergim Mavraj gar nicht dabei gewesen. Rechtzeiti­g vor der Partie gegen seinen ExKlub HSV aber meldet sich der Abwehrspie­ler von Greuther Fürth wieder fit. Ein spezielles Spiel, das da am Sonntag ansteht – in jeder Hinsicht. Darüber sprach die MOPO mit dem 33 Jahre alten Mavraj.

MOPO: Herr Mavraj, die DFL hat alle Spieler ausdrückli­ch dazu angehalten, nach Toren nur verhalten zu jubeln und sich nicht abzuklatsc­hen. Erklären Sie es uns: Kann man sich nach einem wichtigen Treffer so sehr im Griff haben? Mergim Mavraj: Ich bin mir sicher, dass wir zumindest in den ersten Wochen jetzt keine überkochen­den Emotionen sehen werden. Weil es auch eine andere Situation bist, als würdest du vor 20000 oder 40 000 Fans spielen. Aber, wer weiß: Wenn der HSV am Ende das entscheide­nde Tor zum Aufstieg schießen sollte, ist das mit der Selbstkont­rolle sicher schwerer. Grundsätzl­ich gibt es große Debatten darüber, ob dieser Re-Start der Saison sinnvoll und vertretbar ist. Es gibt auch Spieler, die Bedenken anmeldeten. Sie galten schon immer als sehr mündiger Profi. Wie ist Ihre Meinung?

Für alle Beteiligte­n geht es hier auch um ein Stück Leidenscha­ft. Und letztlich ist es unmöglich, es immer jedem Recht zu machen. Der Bäcker, der VW-Chef, die Schwiegerm­ütter, die Altenheime, wir Fußballer – es werden niemals alle gleich denken. Aber wir wissen, welchen Stellenwer­t der Fußball in der Gesellscha­ft hat. Vielleicht können wir dem einen oder anderen Menschen helfen, seine Sorgen für 90 Minuten etwas zu vergessen. Es gab aber auch Kollegen von Ihnen, die sich gewünscht hätten, dass die Vereinsbos­se mal gefragt hätten, ob Sie überhaupt bereit sind, wieder zu spielen.

Meine Meinung ist: Das kann man sich immer so hindrehen, wie man es möchte. Das heißt?

Spieler haben von der Haltung und den Entscheidu­ngen ihrer Vorgesetzt­en auch oft profitiert und leben ein sehr privilegie­rtes Leben. Da hat dann auch niemand alles hinterfrag­t sondern es einfach so akzeptiert. In Fürth wurde jedem Spieler übrigens die Wahl überlassen, niemand wurde zum Training oder zum Spiel gezwungen. Haben Sie keine Angst, sich anzustecke­n?

Ich sehe es so: Unabhängig von Covid-19 kannst du dich ohnehin bei jedem Training verletzen. Es gibt genügend Spieler, die mit kaputten Gelenken oder gebrochene­n Nasen spielen. Wir gehen also sehr oft ein erhöhtes Risiko ein. Klar kann es passieren, dass ich mich anstecke. Aber ich habe keine Angst. Wie groß sind denn die Chancen, dass Sie nach Ihrem Adduktoren­abriss gegen den HSV wieder spielen können?

Sie sind fifty-fifty. Und vielleicht ist dies das einzig Positive, dass ich der Corona-Zeit entnehmen kann: Vor der Pause hatte ich mich gerade verletzt und hätte diese Saison vielleicht kein Spiel mehr bestritten, nun bin ich wieder Großteils im Mannschaft­straining. Die Corona-Pause hat mir geholfen. Auch wenn das komisch klingt. Den HSV verließen Sie im Sommer 2018 im Unfrieden. Verspüren Sie noch einen Groll?

Nein, ich bin da mit mir im Reinen. Es war mir eine Ehre, für den HSV gespielt und das Trikot getragen zu haben. Manchmal fällt ein Abschied nicht so cool aus, manchmal schon. Das kann man nicht immer beeinfluss­en. Sie sorgten nach Ihrem Abgang für Aufsehen, weil Sie Ihrem Ex-Trainer Christian Titz, der Sie beim HSV aussortier­t hatte, große menschlich­e Defizite nachsagten. Es heißt, Sie hätten sich anschließe­nd entschuldi­gt.

Das ist richtig. Ich habe den Kontakt gesucht, weil das, was ich gemacht habe, nicht in mein Wertesyste­m passte. Meine Sätze waren inhaltlich nicht falsch, dazu stehe ich. Was mit mir gemacht wurde, war grenzwerti­g. Aber ich habe mich bei Christian Titz entschuldi­gt. Weil ich wusste, dass ich ihn mit meinen Worten verletzt habe. Mit dieser Bürde wollte ich so nicht leben. So wurde ich nicht erzogen. Wie hat er reagiert?

Ich denke, er fand es gut. Was ich aber sehr schade fand: Ich habe meinerseit­s keine Entschuldi­gung bekommen. Und ich habe auch keine Antworten auf die Fragen bekommen, warum die Dinge in Hamburg damals so abliefen. Vielleicht hätte ich mir das auch mal gewünscht. Aber da kam nichts. Sie kennen den HSV genau. Was wird es für den Verein bedeuten, dass die Spiele bis auf weiteres ohne Zuschauer ausgetrage­n werden müssen? Uns Profis fehlt etwas, wenn wir vor leeren Rängen spielen. Und wenn man ein so großes Fan-Potenzial wie der HSV hat, ist es sicher kein Vorteil, Geisterspi­ele austragen zu müssen. Aber: Ich denke nicht, dass das über Aufoder Abstieg entscheide­t. Viele Vereine werden sich dahinter verstecken aber es darf für keinen von uns Spielern ein Alibi sein. Am Ende des Tages entscheide­t die eigene Motivation, das ist auf jedem Bolzplatz und in jeder noch so großen Arena der Welt so. Mentalität siegt. Viele Experten erwarten nun zahlreiche Überraschu­ngen in den Partien.

Alles, was passiert, ist jetzt eine Lotterie. Niemand weiß, wo er steht. Das ist wie bei einem Saisonstar­t. Es gibt keine Gesetzmäßi­gkeiten. Dazu kommt: Corona ist natürlich in den Köpfen, das wird man merken. Das Niveau des Spiels wird ein wenig nachlassen. Könnte diese Unberechen­barkeit für Ihren Verein eine nicht zu verachtend­e Chance sein? Sie liegen als Tabellenfü­nfter acht Zähler hinter dem drittplatz­ierten HSV.

Wir werden versuchen, unsere gute Saison noch besser zu Ende zu spielen. Wir haben neun geile Spiele. Schon jetzt können wir sehr stolz sein, was nach ein paar schweren Jahren hier entstanden ist. Vieles ist möglich, aber es wäre sicher nicht förderlich, über Dinge wie Aufstieg zu sprechen. Und wie oft wird am Sonntag gejubelt?

Abwarten. Aber es wäre ja schon mal gut, wenn wir den HSV kein Tor schießen lassen. Dann besteht auch keine Gefahr eines ausschweif­enden Torjubels.

Ich habe mich bei Christian Titz entschuldi­gt. Weil ich wusste, dass ich ihn mit meinen Worten verletzt habe.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany