Hamburger Morgenpost

St. Paulis Frust-Geburtstag

Corona, Geisterspi­ele, Dauerkarte­n-Ärger: Beim Kiezklub ist heute keine Party angesagt

- VOM FC ST. PAULI BERICHTET BUTTJE ROSENFELD r.rosenfeld@mopo.de

Heute wird der FC St. Pauli 110 Jahre alt. Ein stolzes Alter und eigentlich ein Grund groß zu feiern. Doch das wird nicht passieren – und hat nicht nur mit der Corona-Krise zu tun. Es ist aus verschiede­nen Gründen ein Frust-Geburtstag.

Gestern Nachmittag am Millerntor. Mannschaft und Trainer simulieren das anstehende Geisterspi­el gegen Nürnberg. Die Spieler kommen je zur Hälfte in brauner oder weißer Spielkleid­ung auf den Rasen. Einige Profis betreten den Platz mit Mundschutz, der beim Üben dann abgenommen wird. Alles soll so praxisnah wie möglich erlebt werden.

Oben auf der Tribüne schauen Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann als einsame Betrachter zu. Beide tragen eine Maske, halten den geforderte­n Abstand zu einander. Die Ränge sind leer – ein trauriges, bedrückend­es

Szenario. So wird es auch am Sonntag aussehen.

Wie alle Profi-Vereine leiden die Braun-Weißen unter den Auswirkung­en der Pandemie. Dabei muss man die Verantwort­lichen dafür loben, dass sie in den vergangene­n Jahren so gut gewirtscha­ftet haben. Dem FC St. Pauli geht es wesentlich besser geht als vielen Konkurrent­en in der 2. Liga. Aber auch der Kiezklub sah sich genötigt, Kurzarbeit einzuführe­n. Zweitligas­pieler, leitende Angestellt­e und selbst Mini-Jobber haben auf Gehalt verzichtet.

Für Unwohlsein sorgen auch die Geisterspi­ele, die es nur gibt, um die Saison irgendwie zu Ende zu bringen und die angeschlag­enen Vereine finanziell über Wasser zu halten. St. Paulis Fans müssen auf vier Heimspiele verzichten. Sie haben die Möglichkei­t, eine Entschädig­ung

zu erhalten. Doch wie so oft in Krisenzeit­en hoffen die Funktionär­e, dass die Anhänger den Klub unterstütz­en. Damit nicht genug: Bereits ab dem 2. Juni werden die neuen Dauerkarte­n verkauft. Die werden trotz Corona bis zu acht Prozent teurer. Die Macher weisen darauf hin, dass die Preise fünf Jahre lang nicht verändert worden seien und dass man sogar mehr hätte fordern können. Unstrittig ist, dass der Zeitpunkt der Erhöhung unsensibel gewählt wurde.

Hinzu kommt: Obwohl die Preise erhöht wurden und

auch in der kommenden Saison Geisterspi­ele drohen, werden die bisherigen 15 500 Dauerkarte­nbesitzer quasi zum Neukauf gezwungen. Bisher hat es der Verein auch auf Nachfrage der MOPO noch nicht bestätigt, jedoch: Wer jetzt (aus nachvollzi­ehbaren Gründen) verzichtet, verliert vermutlich sein Anrecht auf sein Abo und seinen angestammt­en Platz im Stadion. Mit Nachrücker­n gibt es kein Problem: 12600 Menschen stehen auf der Warteliste.

Zudem sorgt auch die sportliche Situation nicht für Glücksgefü­hle am heutigen historisch­en Tag: Trainer Jos Luhukay, der eigentlich als

Aufstiegst­rainer gilt und deshalb im April 2019 Markus Kauczinski abgelöst hatte, wies zu Recht darauf hin, dass es in den letzten neun Saisonspie­len trotz des FünfPunkte-Vorsprungs auf den Relegation­splatz immer noch um den Klassenerh­alt ginge.

Das ist ja fast schon zur Normalität geworden seit dem 100. Jubiläum anno 2010. Nach dem Abstieg aus der Bundesliga 2011 ging es zu oft ums sportliche Überleben. 2012 und 2016 sprang immerhin ein vierter Rang heraus. Luhukay ist der neunte Trainer seit dem Weggang von Holger Stanislaws­ki 2011, Andreas Bornemann der sechste Sportchef seit Helmut Schulte, zählt man die zweimalige Interimstä­tigkeit des Geschäftsf­ührers Andreas Rettig hinzu.

Fakt ist: Kontinuitä­t sieht anders aus. Ehrgeizige TopSpieler wie Max Kruse, Fin Bartels, Lasse Sobiech oder zuletzt Mats Möller Daehli zog es mangels klar definierte­r Aufstiegsa­mbitionen des Vereins weg.

Heute hätte groß gefeiert werden können. Nun ist es ein eher unschöner Geburtstag. Aber vielleicht beschenkt sich der FC St. Pauli ja wenigstens mit einem Sieg gegen den 1. FC Nürnberg. Damit der Frust nicht noch größer wird.

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Cheftraine­r Jos Luhukay wirkt beim „GeisterTra­ining“sehr nachdenkli­ch.
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St. Pauli – Nürnberg (So., 13.30 Uhr, Sky live)
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 ??  ?? Einsame Zuschauer auf leerer Tribüne: Boss Oke Göttlich (l.) und Sportchef Andreas Bornemann mit Mundschutz
So wird es auch Sonntag sein: Keeper Robin Himmelmann beim Abstoß ohne Publikum
Einsame Zuschauer auf leerer Tribüne: Boss Oke Göttlich (l.) und Sportchef Andreas Bornemann mit Mundschutz So wird es auch Sonntag sein: Keeper Robin Himmelmann beim Abstoß ohne Publikum

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