Ein tiefer Riss geht durch unser Land
Corona spaltet die Gesellschaft. Neue Proteste erwartet
BERLIN - Am Wochenende wird wieder in vielen deutschen Städten gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. In Stuttgart hat die Stadt eine Kundgebung mit 5000 Teilnehmern genehmigt, die Veranstalter der Initiative „Querdenken 711“hatten als Provokation hundertmal so viele angemeldet. Auch die Zahl der Gegendemonstrationen wächst.
In Berlin haben linke Gruppen dazu aufgerufen, „Nazis und Folienkartoffeln zu Brei zu stampfen“. Mit „Folienkartoffeln“sind Impfgegner und Pandemieleugner gemeint, von denen einige eine Alukugel als Erkennungszeichen tragen.
In vielen ostdeutschen Städten haben bekannte AfD-nahe und rechtsextreme Gruppen zu Kundgebungen aufgerufen. In Gera, wo am vergangenen Wochenende der Thüringer FDP-Landeschef Thomas Kemmerich auf der Kundgebung sprach, hat nun ein bekennender „Reichsbürger“die Organisation übernommen.
Die sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Susann Rüthrich warnt: „Es radikalisieren sich zwar nicht große Teile der bürgerlichen Mitte, aber es gibt viele Punkte, an denen Rechtsextreme andocken können“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Viele Menschen haben nagende Zweifel wegen der Corona-Einschränkungen. Diese Zweifel könnten sich durchfressen, wenn wir nicht auf Kommunikation, Kontakt und Beruhigung setzen. Und da sind wir zurzeit eingeschränkt, weil wir noch keine eigenen Veranstaltungen anbieten können.“
In ihren Büros erreichten sie so viele aufgeregte Briefe wie noch nie zuvor. „Viele kommen von Impfgegnern, und sie sind oft in dem Duktus geschrieben: Wir sind auf dem Weg in eine Diktatur.“
Der Umgang mit den Protestierenden sei schwieriger als 2015 während der Flüchtlingszuwanderung, sagt Rüthrich, die für die Arbeitsgruppe „Strategien gegen Rechtsextremismus“spricht: „Da konnten wir auf den Rassismus hinweisen,
der sich auf den Demos breitmachte, und viele waren davon abgeschreckt. Die Corona-Krise trifft aber jede und jeden im privatesten Bereich.“
Der Berliner Bewegungsforscher Dieter Rucht sieht den Zenit der Corona-Proteste bereits überschritten. Er sagte dem RND: „Meine Prognose ist: Das mag mit den coronabedingten Protesten jetzt noch ein, zwei Wochen weitergehen. In dem Maße, in dem die Lockerungen greifen, verliert dieses Thema aber an Zugkraft.“
Das rechtspopulistische und rechtsradikale Potenzial aber bleibe: „Das wird sich zu neuen Anlässen versammeln. Vielerorts geht ein bereits bestehendes Netzwerk auf die Straße, es wird nur der Anlass ausgetauscht. Die Anliegen sind ein bisschen beliebig geworden. Es geht darum, Unmut auf die Straße zu tragen und mit rechtsgestrickten Parolen zu unterlegen.“
Wenn allerdings eine neue, große Welle der Infektionen kommt und erneute Einschränkungen beschlossen werden, glaubt Rucht an eine noch größere Rückkehr der Proteste: „Dann wird der Regierung zudem vorgeworfen, bei der Eindämmung gescheitert zu sein.“