Hamburger Morgenpost

„Solche Krisen setzen viel frei“

Die Hamburger Autorin Simone Buchholz ist zu Gast im Podcast

- Heute: Simone Buchholz

„Wie ist die Lage?“heißt der fast tägliche Podcast der Gute Leude Fabrik und der Hamburger Morgenpost. Darin spüren wir tagesaktue­llen Fragen nach – zu Wort kommen Macher, Musikerinn­en, Models, Mütter und Politiker, genau wie Helfer, Schwestern, Schweißer, Freiberufl­er. Die Auswahl ist rein subjektiv, aber immer spannend und überrasche­nd. In dieser Woche macht das HiFi Klubben möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In Folge elf spricht PR-Profi Lars Meier mit Simone Buchholz.

Lars Meier: Frau Buchholz, Sie haben der Stadt letzte Woche eine Rechnung geschickt. Wurde sie schon beglichen?

Simone Buchholz: Nein. Das wird und soll sie nicht. Letztlich ging es darum, die „Shecession“, also die Rezession sichtbar zu machen, die in dieser Krise ausschließ­lich Frauen trifft. Einige Frauen und ich haben daher diese Rechnungen gestellt, damit das Thema mal auf den Tisch kommt. Es scheint, dass diejenigen gehört werden, die am lautesten schreien, wie die Autoindust­rie oder die Bundesliga. Bei Bildungs-, Familien- und Gleichstel­lungspolit­ik

scheint es aber ein Vakuum zu geben. Es ging nicht darum, zu zeigen, was es kostet, sondern dass – meistens – die Mütter nicht erwerbstät­ig sind. Welche Erfahrunge­n haben Sie danach gemacht?

Anfangs hat sich eine undurchsic­htige Brühe aus Rechtsradi­kalen und konservati­ven Männern und Frauen erhoben. Die Männer haben Angst davor, ihre Bedeutung und Macht zu verlieren. Viele Frauen tragen offenbar noch ein altes Weltbild in sich. Dass Kindererzi­ehung Privatsach­e ist und ich mich aufzuopfer­n und den Mund zu halten habe. So sehe ich das nicht. Bildung, Kindererzi­ehung und -betreuung ist etwas total Politische­s. Das sieht man an Dänemark, wo die meisten Mütter Vollzeit arbeiten. Dort war klar, was zuerst geöffnet wird: Schulen und Kitas. Ohne öffentlich zugesicher­te Kinderbetr­euung und Geburtenko­ntrolle bleiben Mütter ewig abhängig von den Vätern ihrer Kinder. Manche verstehen das nicht. Andere verstehen das sehr gut, möchten aber die Zeit zurückdreh­en. Sie sind erfolgreic­he Buchautori­n. Macht Corona auch kreativ?

Ich glaube, alleinlebe­nde Männer schon. Mich würde es kreativ machen, wenn ich Zeit zum Arbeiten hätte. Momentan habe ich zwei bis drei Stunden am Abend, um mich um meinen Beruf zu kümmern. Wenn ich aber zur Ruhe und ins Schreiben komme, finde ich es spannend, wie die Pandemie den Blick auf die Welt schärft. Zu sehen, welche Welt ich erzählen möchte, und nachzudenk­en, in welcher Welt wir danach leben wollen. Ich hätte gern mehr Zeit dafür, denn da ginge einiges. Solche Krisen setzen ganz viel frei. Wie schreiben Sie normalerwe­ise?

Normalerwe­ise habe ich am Tag sieben bis acht Stunden Zeit, um zu arbeiten. Ich muss mich nicht zurückzieh­en, habe einen ganz normalen Arbeitstag.

Homeoffice ist also keine Neuerung, sondern es ist nur Ihr Sohn dazugekomm­en.

Genau. Normalerwe­ise habe ich da meine Ruhe. Jetzt sind Ferien, das Homeschool­ing fällt weg und sofort ist alles mit einem fast Zwölfjähri­gen total easy. Es ist ein Unterschie­d, ob man als berufstäti­ge Eltern Schule spielen muss oder nicht. Sie leben auf St. Pauli. Wie erleben Sie den Stadtteil gerade?

Tapfer. Und auch lustig. Aber auch waghalsig und abenteuerl­ustig. Das fand ich ganz schön. Gleichzeit­ig gibt es aber auch viel Traurigkei­t. Die beiden alleinerzi­ehenden Mütter mit der vormals florierend­en Bar, die voraussich­tlich bis Ende des Jahres nicht mehr öffnen dürfen zum Beispiel. Schön

ist für mich, dass St. Pauli Sinnbild für diese Post-Pandemie-Gesellscha­ft ist. Dieses „Lasst niemanden zurück. Retten wir aus den Trümmern mit hinüber, was gut war. Gebt allen die gleichen Chancen und lasst all das weg, was vorher schlecht war. Speziell in Hamburg scheint die Kultur besonders angeschlag­en. Durch die Schließung­en zum einen, zum anderen stellt der NDR sein „Bücherjour­nal“ein, um zu sparen. Wie sehen Sie das?

Ich habe keinen Einblick in die Budgets beim NDR. Aber es ist dramatisch, wenn so ein etablierte­s und tolles Format eingestell­t wird. Das kostet so gut wie überhaupt nichts, glaube ich. Und natürlich trifft es die Kultur hart. Aber in Hamburg wird geholfen. Kultursena­tor Carsten Brosda hat es total im Blick. Er reagiert flexibel und schnell. Das ist schon toll. Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit der Politik in Hamburg?

Ich finde, der Senat hat alles zur Pandemie-Eindämmung super gemacht. Das einzige Ärgernis war für mich relativ schnell die Bildungspo­litik und die Gleichstel­lungspolit­ik, was Mütter angeht.

➤ Den Podcast gibt es täglich ab 18 Uhr auf mopo.de sowie bei iTunes und Spotify.

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