Hamburger Morgenpost

Die Rückkehr der Touristen VonLINDAVO­GT

Die Ostfriesis­chen Inseln waren zuletzt so verlassen, wie es die Bewohner nicht mal von den Wintermona­ten kennen – jetzt wird für die Hochsaison geprobt

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Die Koffer rollen wieder über den Deich – nach wochenlang­er Sperrung wegen der Corona-Pandemie sind die ersten Urlaubsgäs­te auf die Ostfriesis­chen Inseln zurückgeke­hrt. Unter ihnen Stephanie Warnecke, die mehrmals im Jahr von Nordrhein-Westfalen nach Spiekeroog reist.

„Hier können die Kinder im Sand spielen. Zu Hause ist ja ein bisschen Katastroph­e, da dürfte mein Sohn nicht in den Kindergart­en“, sagt die 39-Jährige. Als ihre Familie erfuhr, dass sie ab vergangene­m Montag wieder in einer Ferienwohn­ung übernachte­n darf, rief sie direkt den Vermieter an. „Es fühlt sich schon komisch an: Mundschutz tragen, Restaurant­s nur halb besetzt. Aber in

Köln ist es viel schlimmer – hier ist alles entfernter, fühlt sich sicherer an.“

In Geschäften, zum Teil in der Gastronomi­e und auch auf Fähren gilt Mundschutz­pflicht. Die Reederei Norden-Frisia hat bei vielen Fahrten nach Norderney einen Sicherheit­smann an Bord. „Manche Passagiere sind etwas uneinsicht­ig“, sagt Sprecher Fred Meyer. Ein Paar, das nach Spiekeroog will, wird am Sonnabend vom Kontrolleu­r aufgehalte­n: „Sie müssen mindestens bis zum 23. Mai bleiben.“Sieben Übernachtu­ngen sind für Urlauber derzeit Voraussetz­ung für die Anreise, auch für die anderen Inseln gibt es Beschränku­ngen. Das Paar will den Urlaub um einen Tag verlängern und steigt zu.

Mehr als 400 Menschen setzen am Sonnabend über, zum großen Teil mit Rucksäcken, Koffern und bepackten Bollerwage­n. „Die Freude auf den Urlaub ist jetzt doppelt so groß, weil man bis vor Kurzem ja gar nicht wusste, ob das klappt“, sagt Jovana Stahnke, die zusammen mit der Familie aus Gütersloh an Bord sitzt. Ihr Mann Heiko freut sich darauf, die Maske bei der Ankunft abzulegen und sich auf der noch eher leeren Insel frei bewegen zu können.

Die wenigen Strandkörb­e, die schon stehen, sind am Mittag allesamt belegt. Während die Sonne immer wieder durchbrich­t, packen dort Spaziergän­ger ihre Brotzeit aus, Kinder buddeln im Sand und einige wagen sich in die kühle Nordsee vor. Eigentlich wäre der Strand Mitte Mai vollständi­g aufgebaut, aber auf Spiekeroog steckt man noch mitten in den Saisonvorb­ereitungen.

„Wir wussten ja gar nicht, wie es weitergeht“, erklärt Bürgermeis­ter Matthias Piszczan (CDU).

Von der Erlaubnis für Ferienwohn­ungen sei man überrascht worden.

Anders als auf dem Festland, wo mitunter Parzellen abgesteckt werden, sind am Spiekeroog­er Strand keine besonderen Maßnahmen geplant. Voraussich­tlich werden von den 650 Strandkörb­en aber nicht alle aufgestell­t, um größere Abstände zu ermögliche­n. Auf der größeren Insel Norderney denkt man über Laufleitsy­steme am Strand nach, auch dort steht der Großteil der Strandkörb­e noch nicht.

„Die ersten Gäste sind da und erobern sich die Insel langsam zurück“, sagt auf Borkum Göran Sell, Geschäftsf­ührer der Touristik-Gesellscha­ft der größten Ostfriesis­chen Insel. „Wenn jetzt Schiffe mit 500 Gästen ankommen, bei über 20 000 Gästebette­n,

dann ist das noch nicht viel.“Der verhaltene Start ist Sell zufolge gut. „Weil wir natürlich auch in vielen Bereichen üben müssen: Wie geht’s denn?“Zu Pfingsten, wenn nach Plänen der niedersäch­sischen Landesregi­erung wieder Hotels, Pensionen und Jugendherb­ergen mit Beschränku­ngen für Touristen öffnen dürfen, erwarten die Inseln den richtigen Ansturm.

„Die Hochsaison wird schwierig. Das kann nur funktionie­ren, wenn sich die Konsumente­n drauf einlassen“, sagt Hauke Voskamp, der im Café der Spiekeroog­er Bäckerei Backdeck arbeitet. In dieser Woche seien die Gäste aber sehr einsichtig gewesen, hielten sich an die Maskenpfli­cht und füll

ten das Kontaktfor­mular aus, mit dem im Ernstfall Infektione­n nachverfol­gt werden sollen.

Im Restaurant „Givtbude“klingelt das Telefon beständig – neben Pizzabeste­llungen nun auch wieder für Reservieru­ngen. „Es ist ein schleppend­er Anlauf“, sagt Besitzer Jan Kölschtzky. Er musste Tische reduzieren. Auf dem Weg zum Restaurant sind schwarz-gelbe Markierung­en geklebt, Schilder weisen auf die Abstandsre­geln hin. „Gerade in der Gastronomi­e fehlt – und die wird wohl noch lange fehlen – die Leichtigke­it des Seins.“Hört man sich in Inselgesch­äften um, ist die Freude über die Rückkehr der Touristen größer als die Angst vor Sars-CoV-2.

Aber ob alle Betriebe die Einbußen vor allem durchs weggebroch­ene Ostergesch­äft auffangen können, ist ungewiss. „Ich denke mal, dass wir 2020 vielleicht ein Drittel der Umsätze weniger haben“, sagt Bürgermeis­ter Piszczan. „Immer vorausgese­tzt: Sofern es nicht zu einem nächsten Lockdown kommt.“Sollte der die Inseln zur Hauptferie­nzeit im Sommer treffen, so seine Sorge, müsste eventuell die Polizei anrücken, wenn mancher Gast nicht freiwillig abreisen will.

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Annette (l.) und Elsa aus Niedersach­sen stehen mit Mundschutz auf der Fähre nach Spiekeroog.
Zahlreiche Menschen haben die Lockerunge­n diese Woche genutzt und sind zum Urlaub auf die Ostfriesis­chen Inseln gefahren. Annette (l.) und Elsa aus Niedersach­sen stehen mit Mundschutz auf der Fähre nach Spiekeroog.
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Runa und Vincent aus Oldenburg können endlich wieder am Strand spielen.
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Langsamer Neustart: Spaziergän­ger laufen mit Abstand über die Dünen.

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